Es ist laut, schrecklich laut, es wird gebaut, zwischen den Rippen steht ein Kran, ein Bagger rumpelt über das Geröll im Kopf. Das Haus steht schon lange, und man sieht, dass es ein gutes Haus ist, doch noch immer wird gehämmert und gesägt, geschliffen und gemalt. Manchmal fragt er sich, wohin das alles führt und ob man nicht schon lange dort ist. Es wird ja doch nie fertig, und wenn es dann doch dereinst vollendet wird, dann ist man tot. Zuvor ist und bleibt man eine Baustelle, sein Leben lang.
Manchmal geht er hinauf auf den Dachboden, der weder genutzt wird noch ausgebaut ist, es gibt weder Strom noch Heizung, da ist nur ein kleines Dachfenster, das tagsüber so viel Licht in den Raum lässt, dass es nicht mehr dunkel und noch nicht hell ist. Er stellt sich an das kleine Fenster, öffnet es eine Handbreit, denn mehr geht nicht. Er saugt die frische Luft in die verstaubten Lungen, und ihm fällt auf, dass er, völlig unbeabsichtigt, die Augen beim Einatmen schließt und beim Ausatmen wieder öffnet.
Jedes Mal, wenn er hinaufsteigt und die schmale Tür zum Dachboden hinter sich zuzieht, blickt er hinaus, betrachtet diesen kleinen viereckigen Ausschnitt der Welt. Er sieht nicht viel, nur den Himmel und die Äste eines Baumes, der das Dach überragt. Irgendwann tragen sie Blätter, klein und fein und grün. Irgendwann ändern die Blätter ihre Farbe, werden gelb und braun, dann fallen sie. Irgendwann ragen die Äste nackt in den Nebel. Irgendwann fällt Schnee, irgendwann beugen sich die dünneren Zweige unter der Last. Irgendwann bilden sich Knospen, irgendwann wachsen neue Blätter. Irgendwann wird der Baum krank, irgendwann stirbt er ab und wird gefällt. Irgendwann geht er in Rauch auf.
Vielleicht hat es mit dem Knacken im Gebälk zu tun, mit den wachsenden Rissen in den Mauern. Jedenfalls scheint es, als würde das Dachfenster an Größe einbüßen. Zuerst denkt er, dass er es sich womöglich nur einbildet, dass es sein Augenmaß ist, das unter Schwund und Schwankungen leidet. Doch schließlich muss er Zweifel und Hoffnungen zur Seite räumen und das Schrumpfen akzeptieren. Als die Welt aufgehört hat, größer zu werden, hat sie wohl angefangen, kleiner zu werden. In seinem viereckigen Blickfeld zeigt sich ein hellblauer Himmel, doch die Abstände verringern sich. Er schließt die Augen und öffnet sie wieder, atmet ein und aus. Es wird eng.

das Kleinsein dürfte doch zu akzeptieren gar nicht so schwer sein. Das Problem sind dann die anderen, die sich viel zu hoch einschätzen, die sind dann ja noch unerträglicher 🙂
LikeLike
Ja, man kann, wenn man mag, das Kleinsein nicht nur akzeptieren, sondern ergreifen und auch im Kleinen Grosses finden, irgendwie…
LikeGefällt 1 Person
„Als die Welt aufgehört hat, größer zu werden, hat sie wohl angefangen, kleiner zu werden.“
Den Satz hab ich in mein Herz geschlossen.
LikeLike
Wie schön, das freut den Satz, und mich ebenso… Vielen lieben Dank dir!
LikeGefällt 1 Person
richtig gut, Dein Text, lieber Disputnik!
Die Welt wird, nachdem man erst mal erkannt ist, daß sich alles mehr oder weniger immer nur wiederholt, wir selbst nichts als eine unendliche Baustelle sind, kleiner, enger und schrumpft auf ein Maß, das Zwergen gerecht wird, aber ist der Mensch denn überhaupt etwas anderes, als ein winziges Geschöpf, ameisenklein, das aber vor Selbstüberschätzung trieft?
Bis es der „Wahrheit“ ins Gesicht sehen muß. Klein ist nicht nur das um uns herum, wir selbst sind es auch…und sogar in uns selbst erkennen wir jetzt diese unerträgliche Enge…
LikeGefällt 1 Person
Doch es wäre schön, irgendwie, wenn man das Kleinsein akzeptieren könnte, sich darin einrichten könnte, ohne sich selbst in die Enge zu treiben, oder?
Vielen herzlichen Dank, liebe Bruni, für dein Lesen und deine Betrachtungen und Worte…
LikeLike