Er hatte gedacht, er könnte das Leben heil überstehen, ohne dass es jemand bemerken würde. Er war doch ein Mann, beinahe zwei Meter hoch und muskulös, er hatte einen gesunden Bartwuchs und eine nennenswerte Anzahl Haare auf der Brust. Er hatte Eier, nicht zu kleine. Er war einer, der Handtaschendamen vor Handtaschendieben beschützte, der ohne Zögern in den reißenden Fluss sprang, um einen hineingefallenen Chihuahuawelpen zu retten, der in brennende Häuser rannte, um Fotoalben und Schülerpokale in Sicherheit zu bringen, und auch wenn er nichts davon tatsächlich getan hatte, bestand kein Zweifel daran, dass er würde, wenn er denn müsste. Er war maskulin und viril, mutig und stark, erdig und kernig, ein richtiger Mann eben. Er musste niemandem etwas beweisen und tat es dennoch, immer und überall, zumeist ganz automatisch. Deshalb und überhaupt war er sich relativ sicher, dass es niemand erfahren würde.
Und jetzt das. Eigentlich war es gar nicht so schlimm, aber Eigentlich ist ein Arschloch unter den Wörtern. Er war sich durchaus bewusst, dass es objektiv betrachtet eine ziemliche Lappalie war. Es war nicht seine rechte Ferse betroffen, er brauchte weder Speere noch Pfeile zu fürchten, es ging nicht um Leben oder Tod. Aber es ging um sein Leben. Und das liegt bei der objektiven Betrachtung stets im toten Winkel.
Es war also geschehen. Er war entlarvt. Er konnte nichts schönreden, es gab nichts zu erklären, es gab nur Ausflüchte und Ausreden, in die er sich hoffnungslos verstricken würde. Also hielt er sich mit Worten zurück, beließ es bei einem Scheiße! und brüllte dieses umso lauter und möglichst männlich in die Welt, den Blick nach oben gerichtet. Die Leute erschraken und verstummten, dann begannen einige zu tuscheln, während andere an ihn herantraten. Sie lächelten merkwürdig und meinten, das sei doch alles gar nicht schlimm, im Gegenteil, es sei doch eine durchaus wertvolle Qualität, wenn man auch einmal Schwäche zeigen könne, das brauche doch auch Mut, bla bla bla, und am liebsten hätte er seine Faust in ihren dämlichen Gesichtern platziert, zuckte aber nur kurz mit den Armmuskeln und dann mit den Schultern.
Natürlich würden sie es vergessen, die Leute. Für sie war es einfach, sie mussten ihr Leben nicht in seinem Kopf und seinem Körper verbringen. Er hingegen war eingesperrt, und er wusste, dass dort, wo er nun war, kein Gras mehr wuchs. Er stellte sich vor den Spiegel und blickte jemandem in die Augen. Ganz langsam ließ er seine Finger über die Bartstoppeln gleiten, als müsste er jede einzelne auf ihre Stabilität überprüfen. Es fühlte sich seltsam an, und einen Moment lang schien der Boden zu beben, die Welt aus den Fugen zu geraten. Dann wandte er sich ab, und das Schwanken hörte auf.

„Eigentlich ist ein Arschloch unter den Wörtern.“ Ich würde sagen, das hat Kultpotential. 😉
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Oha! Ein herzliches Dankeschön dir…
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Bis auf das Wort „Kultpotential“ hätte ich genau den gleichen Kommentar geschrieben.
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klasse Beschreibungen am Anfang!
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Vielen lieben Dank dafür!
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*lächel*, was ist passiert? Ist ihm ein Mißgeschick passiert, das eines Mannes nicht würdig ist???
Dann war es höchte Zeit. Er wird es überstehen und vielleicht darüber nachdenken, was einen Mann wirklich ausmacht…
Ich hoffe es sehr.
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Hmm, die Fragezeichen würd ich gern da stehenlassen, liebe Bruni, aber ja, wahrscheinlich war es höchste Zeit… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für dein Gedanken und Worte. Schönes Wochenende dir…
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Danke für den Text und besonderen Dank für die Formulierung, um die ich Dich beneide: „Eigentlich war es gar nicht so schlimm, aber Eigentlich ist ein Arschloch unter den Wörtern. “ Whish it was mine.
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Ich leihe dir die Formulierung gerne aus. Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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