Er drückt sich in eine dunkle Ecke in den verwinkelten Gassen, die Arme eng am Körper, um möglichst wenig Raum einzunehmen. Er bemüht sich, seinen Atem zu beruhigen; das hektische Laufen hat ihn keuchen lassen. Er lauscht angestrengt, doch das Pochen und Rauschen in seinen Ohren ist noch zu laut, um etwas hören zu können. Er wartet und atmet und schluckt die Angst hinunter, Stück um Stück. Er schiebt seinen Körper noch tiefer in die Ecke und glaubt, ihr Geheul zu vernehmen, das stetig näher kommt.
Einmal, es ist schon viele Jahre her, hätten sie ihn beinahe erwischt. Er war in jenem Alter, in dem man so gerne schon erwachsen wäre, es aber noch nicht wirklich ist. Zwar wusste er um ihre Existenz, doch er war überzeugt, dass er ihnen nicht begegnen würde, schließlich war er jung und gesund, sein Leben war zum Aufblühen bereit. Doch dann standen sie plötzlich vor ihm, in einer langen Gasse, knurrten leise und fletschten ihre Zähne. Im ersten Moment war er nicht in der Lage, sich zu bewegen, ihre funkelnden Augen ließen ihn erstarren. Als sich einer von ihnen auf ihn zu bewegte, zuckte er zusammen und lief los, rannte durch die engen Gassen, so schnell seine Füße es zuließen. Stetig hörte er ihr Keuchen hinter sich und wagte nicht, sich umzudrehen. Er ließ sich in der Regel viel zu schnell entmutigen, und hätte er gesehen, dass sie immer näher gekommen wären, hätte er wohl alsbald aufgegeben. Er rannte weiter durch das Labyrinth aus Mauern und Glas. Irgendwann erspäht er eine Haustür, die gerade dabei war, sich langsam zu schließen. Er kannte das Haus nicht, doch er überlegte nicht lange, rannte zum Hauseingang und stürzte hinein. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Er atmete schwer und presste seine Hand auf den Mund, um möglichst keinen Laut zu machen. Draußen rannten sie mit tosenden Schritten am Haus vorbei. Dann wurde es wieder still. Als in der Dunkelheit des Treppenhauses eine Stimme erklang, fuhr er zusammen. Es war eine junge Frau, etwa gleich alt wie er. Sie wohnte mit ihren Eltern im Haus und forderte ihn auf, sich in ihrer Wohnung etwas zu erholen. Zehn Minuten später war der erste Schrecken einigermaßen aus seinen Knochen entwichen. Außerdem war er verliebt.
Damals hatte ihn die junge Frau gerettet, aber sie würde es nicht nochmals tun, sie könnte es nicht mehr, und er würde es nicht wollen. Er hat neue Retterinnen und Retter gefunden, neue Verstecke, neue Refugien, in denen er sich sicher glaubt. Doch er weiß, dass es keine Sicherheit geben kann, an keinem Ort, in keinem Moment. Das ist eigentlich auch gut so, findet er. Dennoch ist es beruhigend.
Einige Menschen, die er kannte, haben sie bereits geholt. Seinen Bruder erwischten sie im Auto, seine Großmutter im Schlaf, seinem besten Freund aus der Kindheit schlichen sie ins Blut, und eine alte Freundin öffnete ihnen sogar bereitwillig die Tür. Sie sind nicht wählerisch, machen keine Unterschiede, scheinen keinerlei Präferenzen zu haben, und vielleicht ist das eines der Dinge, die man ihnen zugutehalten könnte.
Er kennt einige Mittel, um sich gegen sie zu wappnen, sich zu schützen, so gut wie es geht. Er raucht nicht mehr, damit sie ihn vielleicht weniger rasch finden. Er blickt nach links und nach rechts, wenn er Straßen überquert. Er zieht sich warm an, wenn es kalt ist. Er zahlt Geld an Organisationen, die ihn vor ihnen schützen sollen, obwohl er nicht weiß, ob sie dazu tatsächlich in der Lage sind.
Während er in seinem Versteck in der dunklen Ecke hockt, hört er, wie sie sich allmählich entfernen, ihr Geheul wird wieder leise und verstummt schließlich ganz. Er ist ihnen entkommen, einmal mehr. Doch das Entkommen wird irgendwann ein Ende finden. An diesem Ende wird er sich ihnen stellen müssen, wird ihnen unweigerlich ausgesetzt sein. Am Ende gibt es keine Überlebenden.

ach ja, am Ende verlieren wir und was wir gewinnen, wissen wir nicht …
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Vielleicht spielt es am Ende auch keine Rolle mehr… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni… Herzliche Grüsse
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