Er wusste, dass es ein Fehler war, bevor er ihn machte. Man sagte es ihm auch. Du machst einen Fehler. Er schüttelte den Kopf. Noch nicht, stellt er richtig. Ich habe noch gar nicht angefangen, ihn zu machen. Man blickte ihn dann vorwurfsvoll an, quittierte seine Borniertheit mit einem Pfff oder einem Tsstss. Er zuckte daraufhin mit seinen Schultern. Es waren breite Schultern, aber was nützt das schon?
Dass er den Fehler machen würde, obschon er ihn voraussah, lag nicht etwa daran, dass er aus ihm hätte lernen wollen. Er maß dem Lerneffekt von Fehlern nicht viel Wert bei. Er hatte schon häufig Fehler gemacht, kleinere und größere. Gelernt hatte er aus ihnen aber nicht, zumindest nicht bewusst.
Einmal, als Kind, stieg er auf das dünne Eis eines winterlichen Baches. Seine Schulfreunde warnten ihn, dass es brechen würde, und der alte Jakob aus dem Nachbarshaus fuchtelte wild mit seinem Stock und rief krächzend, er solle sofort da wegkommen. Doch er machte einen weiteren Schritt auf dem Eis, dann noch einen und noch einen. Als er dann einbrach, verspürte er eine gewisse Enttäuschung, mehr nicht. Und er hatte kalte Füße, doch das war ihm schon zuvor bewusst gewesen.
Als junger Mann hatte er einst ungeschützten Sex mit einer Frau, die er kaum kannte, von der er aber wusste, dass sie oft mit Männern schlief, die sie kaum kannte. Er wusste um die Gefahren; man sprach zu jener Zeit häufig über AIDS, da waren unschöne Geschlechtskrankheiten, und natürlich bestand die Möglichkeit, dass die Frau schwanger wurde. Dennoch ließ er das Kondom in der Tasche. Man hätte das als Fehler bezeichnen können, doch es passierte nichts; er wurde nicht krank, nichts juckte, sie war nicht schwanger. Also konnte es eigentlich kein Fehler gewesen sein, dachte er.
Bei einer Party wurde ihm Kokain angeboten, und seine damalige Begleiterin sagte noch, er solle ablehnen. Mach diesen Fehler nicht, beschwor sie ihn und skizzierte sein zukünftiges Drogenelend. Er zog sich dennoch eine Linie in die Nase. Danach wurde er zwar vorübergehend ein wenig nervös und euphorisch, aber in der Folge trotzdem nicht zum Junkie.
Du machst einen Fehler, sagte man ihm erneut. Du kannst mir ja nachher triumphierend mitteilen, dass du es ja gewusst hast, dass du es ja gesagt hast, gab er schnippisch zurück. Man blickte ihn dann verärgert an, quittierte seine Borniertheit mit einem Pfff oder einem Tsstss, doch was nützte es? Er zuckte mit seinen Schultern, diesen breiten Schultern, und grinste, und dann machte er den Fehler. Dann noch einen und noch einen. Als er dann am Ende aller Fehler angekommen war, verspürte er eine gewisse Enttäuschung, mehr nicht. Und er hatte kalte Füße, doch das war ihm schon zuvor bewusst gewesen.

Ich werde dir mal folgen. Finde deine Beiträge sehr lesenswert. Ich bin gespannt was mich noch so erwartet.
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Danke schön, das freut mich sehr…
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Bitte, Bitte. Ich freue mich auch über viele neue Geschichten.
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Gegen Fehler ist nichts einzuwenden, manche von ihnen muss man sogar öfter machen, um sicherzugehen, dass man sie auch richtig beherrscht. 😉
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Jaha, es ist wohl ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen…
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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