Es ist wohl belanglos, doch womöglich auch nicht, ihr ist sehr häufig schwindlig, vielleicht stimmt etwas mit dem Kreislauf nicht, vielleicht sollte sie zum Arzt, vielleicht ist sie ernsthaft krank, vielleicht ist sie auch einfach unterzuckert oder übermüdet, doch eben, vielleicht auch nicht, und sie hat Angst davor, tatsächlich zu erkranken, sie hat Angst vor Hirnblutungen, sie hat Angst vor jedem Krebs und vor allem vor Brustkrebs, sie hat Angst vor dem Altern, keine Angst vor dem Tod, aber Angst vor dem Sterben, sie hat Angst vor dem Alleinsein und Angst vor den Momenten, in denen das Zusammensein mit einem anderen Menschen zu einem Bremsklotz im Leben wird, sie hat Angst, dass die Angst sie verschlingt, von innen her auffrisst, doch dann, hin und wieder, schlägt sie sich selbst mit der flachen Hand auf die Wange, jetzt hör endlich auf, herrscht sie sich an, dein Leben, jedes Leben, es beginnt am Anfang und hört am Ende wieder auf, von Null auf eine unbekannte Zahl und dann zurück auf die Null, und ganz egal, was dich umbringt, ein Messer oder ein Auto oder Krebs in den Brüsten, am Ende stehst du wieder auf Null, und ja, am Ende kommt jeder bei sich selber an, am Ende ist die Angst wohl so unwichtig wie der belanglose Rest.
Ihre Brüste sind nicht gleich groß, und eigentlich ist es ihr egal, der Unterschied ist auch keineswegs massiv, sie kann gut damit leben, doch irgendein Mann ohne Namen fühlte sich veranlasst, es wiederholt zu betonen, er sagte nicht Brüste, sondern Titten, er zeigte mit dem Finger auf sie und grinste dabei dümmlich, und am liebsten hätte sie ihm sein Grinsen aus dem Gesicht geprügelt oder wäre zumindest mit lautem Getöse aus dem Raum gestürmt, doch seine Worte ließen sie erstarren, sie blieb regungslos sitzen, damals auf seinem Bett in seiner Wohnung, sie tranken billiges Bier aus braunen Flaschen, und später hatten sie Sex, gänzlich gleichgültig und unbefriedigend, zumindest für sie, während es für ihn durchaus erfüllend schien, wobei es bei ihm nicht Sex hieß, sondern Ficken, was als Bezeichnung vielleicht auch zutreffender war, und einige Tage später rief er an und fragte, ob sie mal wieder ficken würden, und sie antwortete, dass sie ihn nie mehr sehen wolle, und er lachte und meinte, dann mach doch die Augen zu, meinen Schwanz findest du bestimmt auch im Dunkeln, und er lachte, dreckig und höhnisch, und sie legte auf, zornig und traurig, und dann verfluchte sie sich, dass sie nicht noch angefügt hatte, dass sie kein Licht brauche, um ihm seinen stinkenden kleinen Zipfel abzubeißen, und vielleicht hätte sie noch einmal anrufen sollen, doch der Mann ohne Namen, er war nur ein Arschloch, ein weiteres Arschloch, er reihte sich ein und blieb dabei so irrelevant wie der belanglose Rest.
Sie weiß nicht, wann und wie alles so wichtig geworden ist, so bedeutsam, so elementar, jeder Tag muss Gewicht haben, jeder Schritt ist eine Aussage, ein Manifest, alle sind so laut, selbst im Gestikulieren liegt ein dröhnender Lärm, die Worte, sie werden doppelt unterstrichen, und jeder zweite Satz endet mit einem Ausrufezeichen, eine Häufung von Aufforderungen, ein Ziehen von Grenzen, man muss doch, man kann nicht, man soll doch, man darf nicht, und sie nennen es Freiheit, doch sie meinen etwas anderes, denn Freiheit kennt keine Grenzen, findet sie, kein Gewicht, keine Masse, keine Regeln, wenn alles so schwer ist, so sehr nach Definition und Reflektion schreit, dann kann sie nicht frei sein, darum sehnt sie sich nach der Leichtigkeit, nach dem Sommerwind, der die Wiesenblumen streichelt, nach den warmen Regentropfen, die ihre nackte Haut küssen, nach der Zweifellosigkeit in Freundschaften und nach Blicken ohne verborgene Dimensionen, sie sehnt sich nach den einfachen und fraglosen Dingen, die so unwichtig scheinen und dabei oftmals wertvoller sind als der belanglose Rest.

„(…) alle sind so laut, selbst im Gestikulieren liegt ein dröhnender Lärm (…)“ – schönste Stelle. So schön, dass ich sie mehrmals lesen musste.
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Vielen lieben Dank dir, fürs einmalige und mehrmalige Lesen…
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ein TRAUM von einem Text!
Und im mittleren Abschnitt:
der ALPTRAUM!
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Vielen Dank dir, lieber Finbar, auch fürs Mitalpträumen…
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Drei lange Sätze. Drei Gedankenwege. Drei Dinge von denen ich nun weiß, dass sie mich nicht alleine beschäftigen. Danke.
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Ich habe zu danken, fürs Lesen und Mitgehen auf den Gedankenwegen… Danke.
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Ja. Groß, mal wieder.
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Vielen Dank, mal wieder.
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Sorry, ich meinte das „mal wieder“ rundum wertschätzend.
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So verstand ich es auch und meinte es meinerseits rundum dankbar…
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