Die Straße ist unübersichtlich, die Kurven eng und der Fahrer des entgegenkommenden Wagens handelt zutiefst fahrlässig, als er die Kurve schneidet und weit auf die Gegenfahrbahn gerät, wo er ihm auf seinem Motorrad entgegenfährt, in beträchtlichem Tempo, aber zumindest auf der richtigen Fahrbahnseite, was allerdings kein Trost sein dürfte, wenn Auto und Motorrad ineinander geprallt wären, doch der Zusammenstoß, er findet nicht statt, sie verfehlen sich um wenige Zentimeter, und unmittelbar danach muss er anhalten, schaltet den Motor seiner Maschine aus und atmet tief durch; dann fährt er weiter, ungewohnt achtsam, und zu Hause küsst er seine Frau inniger als üblich und drückt seine Kinder fester als sonst.
Sie ist zwar eine ambitionierte, aber ausreichend vorsichtige Kletterin, sichert sich stets optimal und geht keine unnötigen Risiken ein, hält nichts von Mutproben oder größenwahnsinnigen Torheiten, auch der Ehrgeiz ist nicht so stark ausgeprägt, um ihr Streiche spielen zu können; sie klettert einfach gern, und als sie an jenem Tag ihrem Ziel, einem Felsvorsprung unterhalb des Gipfels, erreicht hat, ist sie erschöpft und zufrieden, sie ruht sich aus und isst einen Getreideriegel, und als sie wieder aufsteht, tritt sie auf einen losen Stein und kippt zur Seite, nur leicht, doch es genügt, um aus dem Gleichgewicht zu geraten, und sie stürzt und sie rutscht, immer weiter, bis es ihr doch noch gelingt, sich an einer Kante festzuhalten; mühsam zieht sie sich hoch, klettert wieder auf den Felsvorsprung und starrt in den Abgrund, stumm und reglos; sie wartete bis sich ihre Atmung beruhigt hat, und schließlich tritt sie den Abstieg an, langsam und vorsichtig, und als sie später im Bus nach Hause sitzt, ruft sie ihre Mutter an, einfach so, um zu hören, wie es ihr geht.
Er will seine Frau überraschen, will ihr, die sich unermüdlich und sorgsam um den Haushalt und um das Daheim ihrer kleinen Familie kümmert, zumindest ein wenig Arbeit abnehmen, also beginnt er, die Fenster zu putzen, eines nach dem anderen, er ist darauf bedacht, keine Streifen zu hinterlassen, reinigt auch die Ecken möglichst genau, entwickelt einen ungeahnten Ehrgeiz und freut sich ein wenig auf das überraschte Gesicht seiner Frau, und immer wieder blickt er von der fünften Etage des Wohnhauses hinab auf die Straße, um zu sehen, ob sie bereits von ihrem Treffen mit einer Freundin zurückkehrt, und als er dann die Außenseite eines Fensterrahmens reinigen will, lehnt er sich ein wenig hinaus und hält sich an der seitlichen Kante des Fensterrahmens fest, als diese plötzlich nachzugeben scheint, wodurch er den Halt verliert, und im letzten Moment kann er sich noch an der Kante des Fenstersimses festhalten, seine Finger klammern sich vehement daran fest, doch dann verlassen ihn die Kräfte, und während er nach unten stürzt, denkt er an seine Frau und bedauert, dass er sie nicht geküsst hat, als sie vor einigen Stunden aus dem Haus gegangen ist.

Glück und Pech. Beides kann sein. Zufälle? Es gibt keine. Oder? Leichtsinn?
Einer hat es immer an Achtdamkeit fehlen lassen, aber Achtsamkeit kann verdammt langweilig werden – für manche Menschen …
Liebe Grüße von Bruni
LikeLike
Ich glaube an Zufälle… Bei der Achtsamkeit, wie bei so vielem, braucht’s wohl einfach das richtige Mass…
Vielen Dank fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse zurück…
LikeLike
Fatal…
Irgendwie sollte dieser Tag so sein, doch warum?!
Liebe Grüße vom Lu
LikeGefällt 1 Person
Wer weiss… Zufall, wahrscheinlich…
Lieben Dank dir fürs Lesen und herzliche Sommergrüsse zurück…
LikeGefällt 1 Person
Das vermute ich auch…
LikeGefällt 1 Person