Die 33 Fragezeichen, Teil 2.

Wann wird ein Moment zur Vergangenheit? Wann wird Vergangenheit zur Geschichte? Wer entscheidet, was Geschichte macht? Wann merkt man, ob Geschichte geschrieben wurde oder lediglich eine Fußnote, wenn nicht sogar nur leere Worte? Wenn die Vergangenheit nur eine Geschichte ist, die wir in Worte kleiden, sind wir dann nicht einfach Märchenerzähler mit einem Anspruch auf … Weiterlesen Die 33 Fragezeichen, Teil 2.

Die alte Kälte.

Man mag ihn nicht, hat ihn nie gemocht. Vielleicht hat man es zu Beginn noch versucht, aber nie wirklich geschafft, und irgendwann hat man dann wohl aufgehört, es überhaupt in Betracht zu ziehen. Man hat sich damit abgefunden, dass man gewisse Menschen liebenswert oder sympathisch findet, er aber nicht zu diesen Menschen zählt. Die Abneigung, … Weiterlesen Die alte Kälte.

Eine Weise.

Sie war die älteste Frau im Dorf. Vielleicht war sie ein Elefant, vielleicht ein Geist, vielleicht eine hölzerne Statue, vom Leben geschnitzt. Man wusste es nicht, und man fragte sie nicht. Stattdessen fragte man sie alles andere. Die Kinder fragten nach dem Blau des Himmels, nach dem Donner und dem Blitz, nach der Körpergröße der … Weiterlesen Eine Weise.

Zumindest das Schweigen.

Mitunter sind die banalsten Sätze auch die unerträglichsten, den einfachsten Fragen folgen bedrückend komplizierte und dennoch unverbindliche Antworten. Man könnte fragen: Warum Krieg? Eine Frage, auf die schon Einstein und Freud in ihrem publizierten Briefwechsel keine abschließende Klärung fanden. Man könnte fragen, wohin man geht, wenn man am Ende angekommen ist, doch man weiß, dass die … Weiterlesen Zumindest das Schweigen.

Rost.

Das Fragezeichen ist wie das alte dunkelgrüne klapprige Fahrrad im Keller. Es ist da, und man weiß genau, wie man es verwendet, doch die Staubschicht wird dicker, die Spinnweben werden allmählich zu dünnen Tüchern. Man mag das Fahrrad durchaus, als Kind saß man stundenlang auf dem weichen Sattel, dessen Naht an der Seite ein wenig … Weiterlesen Rost.

Was ist dir lieber?

Was ist dir lieber; dass ein Elefant dein Badewasser austrinkt, ein Vogel dein Mittagessen stiehlt, ein Schwein deine Kleider anzieht oder ein Nilpferd in deinem Bett schläft? Eine gute Frage. Sie entstammt einem Kinderbuch von John Burningham. Darin stehen noch andere erfreuliche und unerfreuliche Möglichkeiten zur Wahl, unter anderem kann man sich zwischen Spinnenschnitzel, Schneckenknödel, … Weiterlesen Was ist dir lieber?

Der Vatermörder.

Irgendwo in einem kleinen Ort in der Nähe einer Stadt, in der man noch nie war, bringt ein junger Mann seinen Vater um. Man liest davon in der Zeitung, eher zufällig, eine kleine Meldung, denn die Informationen sind noch dürftig. Der Sohn ist gut zwanzig Jahre alt, der Vater war sechsundsechzig, er wurde erstochen aufgefunden, … Weiterlesen Der Vatermörder.

Vier Finger.

Am Wegesrand liegt ein Mann, nicht jung, nicht alt, vielleicht nicht einmal echt. An beiden Händen sind jeweils nur vier Finger, wie bei Comicfiguren, überhaupt ist er sehr einfach gezeichnet, rudimentäre Züge in einem banalen Gesicht. Man tritt zu ihm hin, fragt ihn, ob alles in Ordnung sei und warum er denn hier liege. Er … Weiterlesen Vier Finger.

Ein Bein ist kürzer.

Wir winden uns, so gut es geht, winden uns um alle Ecken und raus aus dem Gröbsten, wir geraten ins Trudeln und trunkene Wanken, obschon wir vollkommen nüchtern sind, vielleicht zu nüchtern für jedes Hier und Jetzt. Ein Bein ist kürzer als das andere, war es schon immer. Man hat uns damals nichts gesagt, man … Weiterlesen Ein Bein ist kürzer.

Hinter Fragen.

Er glaubt nicht an Gott, hat ihn nie gesehen oder gespürt, er glaubt an keine höheren Mächte oder dergleichen, doch einmal, da starb eine liebe Freundin, und es tat so weh, das war alles so sinnlos und widrig, sie fehlte an allen Enden, und am letzten Ende, am Tag, an welchem sie in der Erde … Weiterlesen Hinter Fragen.

Der Tee wird kalt.

Sie beobachtet die Ziffern der kleinen digitalen Küchenuhr; die Zeit läuft rückwärts, drei Minuten verringern sich, schwinden und verschwinden, bis zum letzten leeren Viereck auf der Anzeige, vier identische Zahlen ohne Wert, und dann der stoische Signalton. Sie drückt einen Knopf, nimmt vorsichtig den Teebeutel aus der Tasse und legt ihn auf einen kleinen Teller, … Weiterlesen Der Tee wird kalt.

William Wilson und das ungewisse Etwas.

Der Satz steht da, auf einem Stück Papier, das an der Wand hängt, ausgeschnitten aus der Modestrecke eines populärkulturellen Magazins, wo es seltsam unpassend wirkte, weitaus unpassender als hier an der Wand. «Bis ans Ende der Welt floh ich vergebens.» Ein Fragment aus «William Wilson», einer Geschichte von Edgar Allen Poe. Ein Zusammenhang des Satzes … Weiterlesen William Wilson und das ungewisse Etwas.

Einsturzgefahr.

Während die Linien sich allmählich wieder ordnen und die Konturen zurückkehren, während der Sturm sich legt und die Schwerkraft wieder wirkt, kaut sie auf ihrer Unterlippe, beißt ein wenig zu heftig in ihr Fleisch und schmeckt alsbald das Blut, ihr Blut, bittersüß und metallisch, nur ein Tropfen vielleicht, der sich vermischt mit dem salzigen Geschmack … Weiterlesen Einsturzgefahr.

Von Kopf bis Fuß.

Der Kopf. Alles beginnt hier, in und mit ihm, ob er durch die Wand geht oder hinein in die Welt. Jedes Wort und jede Lüge, jede Angst und jedes Bild, jeder Traum und jeder Lapsus, jede Leere, jede Erfüllung, jede Wut und jeder Mut, alles beginnt hier. Jedes Ende sowieso, denkt sie und beißt sich … Weiterlesen Von Kopf bis Fuß.

Angst und Aluminium.

Schnittwunden und Dellen fangen das Licht, das Aluminium schmeckt wie Angst, das Adrenalin zieht uns näher, alles fluoresziert dort oben, alles ist sternenklar, doch nichts ist klar. Ein Brief, im Bus geschrieben, er erzählt von einer Flut, um das Blut zu verdünnen, von Absinth und Maria Callas, von den Sorgen im Atem; die Jungen und … Weiterlesen Angst und Aluminium.

Rauch und Rauschen.

Irgendwann stellte man sich die notwendige Frage, warum Frau K. durch das geöffnete Schiebedach in den Mercedes von Herrn F. defäkiert hatte. Es schien ein reichlich unkonventionelles Vorgehen, das unweigerlich auf ein vorangegangenes Ereignis schließen ließ, das Frau K. in einer Weise gekränkt hatte, die so heftig war, dass ihr keine andere Reaktion einfiel, als … Weiterlesen Rauch und Rauschen.

Tränen in der Sahara.

Man verliert sich aus den Augen, aus den Augen aus dem Sinn, die Entfernung zwischen dem besinnungslos Bedingungslosen und dem sinnlosen Ding wird oftmals in Jahren gemessen, mitunter in Monaten, Wochen, Tagen, und die Jahre und Tage versickern im Boden wie Tränen im Sand, und wenn sich die Zeit zwischen Menschen drängt, liegt selbst das … Weiterlesen Tränen in der Sahara.

Der Tschingg.

Salvatore war ein Tschingg. Viele Menschen nannten ihn damals so, ihn und die anderen, deren Eltern aus Italien in die Schweiz eingewandert waren. Ich nannte ihn Salvatore, schließlich war dies sein Name, und dafür waren Namen doch da, um Personen zu benennen. Ich weiß nicht, ob ich ihn mochte. Er war so alt wie ich … Weiterlesen Der Tschingg.