Irgendwann stellte man sich die notwendige Frage, warum Frau K. durch das geöffnete Schiebedach in den Mercedes von Herrn F. defäkiert hatte. Es schien ein reichlich unkonventionelles Vorgehen, das unweigerlich auf ein vorangegangenes Ereignis schließen ließ, das Frau K. in einer Weise gekränkt hatte, die so heftig war, dass ihr keine andere Reaktion einfiel, als ihrem Unmut freien Lauf zu lassen und für diesen Lauf ihre Verdauungsorgane zu nutzen. Die Frage nach dem Warum, sie blieb jedoch unbeantwortet, zumindest vorerst. Denn Herr F. war seinerseits durch die Tat von Frau K. so sehr empört, dass er ihren kleinen Toyota kurzerhand in Brand setzte, während in seinem Mercedes die Kacke noch am Dampfen war. Frau K. wiederum zahlte es ihm in gleicher Weise heim, und schließlich war man mit zwei ausgebrannten Autos, zwei wutentbrannten Personen und vielen brennenden Fragezeichen konfrontiert. Die Zeitungen schrieben, dass die Polizisten mit ihren langen Fragenkatalogen nur noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen hätten, mussten aber am folgenden Tag eine Gegendarstellung drucken, da die Feuerwehr sowohl den Toyota als auch den Mercedes längst gelöscht hatte, bevor die Polizei überhaupt an den jeweiligen Brandstätten eingetroffen war.
Die Menschen, die in der kleinen Stadt wohnten, wunderten sich, dass so etwas in eben dieser kleinen Stadt geschehen konnte, doch sie wunderten sich nur einige Tage lang, bis sich der Rauch ein wenig verzogen hatte und die Gedanken an die seltsamen Zwischenfälle dem rauschenden Fluss zum Opfer gefallen waren, der durch all die Alltage strömte. Irgendwann blieben in den inneren Geschichtsbüchern der Kleinstadtbewohner nur noch klitzekleine Fußnoten davon übrig. Anders sah es in den inneren Geschichtsbüchern von Frau K. und Herrn F. aus, in welchen die Begebenheiten natürlich eine überdurchschnittliche Relevanz besaßen. Da Herr F. ein furchtbare Handschrift aufwies, konnte sein Bericht nicht entziffert werden, weswegen die Wahrheit für einmal nur eine Perspektive kennt, nämlich jene von Frau K., die dem Aneinanderreihen von Buchstaben eine beinahe erschreckende Aufmerksamkeit und Präzision schenkte und die Zeilen in ihrem inneren Geschichtsbuch mit kleinen kalligrafischen Kunstwerken füllte. Hinter der attraktiven Fassade der Buchstaben taten sich jedoch Abgründe auf, die sich allerdings nur erahnen ließen, da Frau K. in ihren Schilderungen weniger auf Tatsachen fokussierte, sondern vornehmlich emotionale Befindlichkeiten in kryptische Botschaften kleidete.
In meiner Mitte brennt ein Feuer. Herr F. hat es entfacht. Oder auch nicht. Vielleicht hat er es nur geschürt. Die Flammen fressen mich von innen auf. Es geht nicht um Liebe. Es ging nie um Liebe. Herr F. hat von Liebe keine Ahnung. Er ist auch nur ein Mensch. Und er ist ein Tier. Er ist ein hungriger Wolf, er reißt mich in Stücke, und dann lässt er mich liegen. Die Aasgeier kreisen über meinem Kopf, vielleicht sind es auch nur Krähen. Dein Körper ist der Himmel, hat Herr F. gesagt. Seine Worte brannten, als es still wurde. Ein glühender Kugelschreiber im Herzen. Dann das Knacken im Gebälk. Das Haus ist eingestürzt, und Herr F. ist einfach weggefahren, in seinem Mercedes. Nun brennt die Ruine, ich habe sie angezündet, und trotzdem ist mir kalt. Ich möchte ihn schütteln und ihm ins Gesicht spucken. Es geht nicht um Liebe. Es ging nie um Liebe. Es geht um Respekt. Herr F. ist ein Fleischfresser. Dein Körper ist der Himmel, hat er gesagt. Er kennt meine Augenfarbe nicht. Jetzt ist es zu spät. Ich scheiße auf Herrn F. und auf den Mantel, den er mir geschenkt hat. Ich scheiße auf seinen Mercedes und sein dummes Grinsen. Vielleicht war das Feuer nur Sodbrennen.
Mehr stand nicht im inneren Geschichtsbuch von Frau K. Irgendwann lag es auf einem Brachland, einem Feld am Rande der Stadt. Ein Ornithologe fand es zufällig und brachte es zur Polizei. Von Frau K. fehlte jede Spur. Als die Beamten Herrn F. zu Hause besuchten, entdeckten sie seinen toten Körper im Flur. Aus seiner Brust ragte ein Kugelschreiber. Sieben Graphologen versuchten, sein Geschichtsbuch zu entziffern; ohne Erfolg. Die Zeitungen erinnerten an die dampfende Kacke und die verbrannten Autos, sie druckten den gesamten Inhalt der inneren Geschichtsbücher von Frau K. sowie Herrn F. ab und stellten brennende Fragen, aber niemand rief die Feuerwehr und niemand fand Antworten. Die Menschen, die in der kleinen Stadt wohnten, wunderten sich lediglich, dass so etwas in eben dieser kleinen Stadt geschehen konnte, doch sie wunderten sich nur einige Tage lang, bis die Gedanken an die seltsamen Zwischenfälle dem Fluss zum Opfer gefallen waren, der durch all die Alltage strömte. Schließlich fielen auch die letzten brennenden Fragezeichen ins Wasser. Es zischte kurz, dann war wieder nur das Rauschen des Flusses zu hören.

Aber genau so ist es: Die Aufregungen der Sekunde sind prompt nach ein paar Minuten vergessen, brennend oder nicht. Eigentlich schade …
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Ja, und das Aussergewöhnliche der Minuten fällt den Stunden und Tagen zum Opfer. Und so weiter. Liebsten Dank dir fürs Lesen und deine Gedanken…
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Schön, wie dieser Text mit Metaphern und Wörtlichkeit spielt! Sehr gelungen.
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und Mitspielen und für deine Worte…
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eine geheimnisvolle Geschichte um brennende Gefühle, die in lodernden Hass umschlugen…
Wunderschön Dein leiser Humor in und zwischen den Zeilen
LG von Bruni
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Herzlichen Dank, liebe Bruni, fürs Lesen, auch zwischen den Zeilen, und für deine Worte…
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