Bettwäsche.

Die Bettwäsche aus ihrer Kindheit, sie ist blau. Pastellblau. RAL 5024, vielleicht. Darauf weiße Blumen mit fünf Blütenblättern und einem kurzen Stiel, die Blumen scheinbar achtlos hingestreut auf den pastellblauen Grund, erst bei genauem Hinsehen zeigt sich ein regelmäßiges Muster. Die Bettwäsche duftet nach Waschmittel, und das Waschmittel duftet so, wie Waschmittel dufteten, bevor sie … Weiterlesen Bettwäsche.

Auf dem Parkett.

Man lud einige Freunde nach Hause ein, man verspeiste Speisen, man trank Getränke, und einer mischte sich einen Wodka mit Red Bull, er trank Glas um Glas, immer wieder, und mit jedem Schluck wurde seine Stimme schwammiger, seine Geschichten wurden abenteuerlicher, bisweilen abstrus, seine Fantasie reckte und streckte sich, und irgendwann, nach einer weiteren fantastischen … Weiterlesen Auf dem Parkett.

Perpetuum Mobile.

Irgendwann fragte die Therapeutin, ob er gerne Musik höre. Pino antwortete, dass er sich nie viel aus Musik gemacht habe. Musik sei für ihn ein wenig wie Straßenverkehr. Nebengeräusch. Die Therapeutin begann dann zu schwärmen, von Tom Waits, vom Penguin Cafe Orchestra, von Nina Simone. Pino kannte diese Namen nicht. Noch nicht. Eigentlich wusste er, … Weiterlesen Perpetuum Mobile.

Kein Maßstab.

Er ist noch ein Kind, als eines Tages ein Versicherungsvertreter zur Familie nach Hause kommt und sich mit seinen Eltern unterhält. Der Versicherungsvertreter hat dunkles Haar und ist freundlich und hat eine Ledermappe dabei, und in dieser Ledermappe befindet sich neben einem Notizblock und irgendwelchen Papieren auch ein Maßstab. Es ist kein normaler Maßstab, denn … Weiterlesen Kein Maßstab.

Die Leiche.

Da war diese kleine Hütte, sie stand am Rande einer kleinen Lichtung im Wald, direkt neben einem abgestorbenen Baum. Üppiges Grün umwucherte das Fundament, das Holz wirkte morsch und wies unzählige Löcher und Lücken auf. Die wenigen Fenster waren zwar in den meisten Fällen noch intakt, doch das Glas war seltsam schwarz und ließ keinen … Weiterlesen Die Leiche.

Der Berg im Fenster.

In seinem Kinderzimmer hingen Poster an der Wand, Bilder von Queen und Kim Wilde und den Blues Brothers, immer wieder andere Gesichter, stetig wechselnde Idole an drei Wänden seiner kleinen Welt. Die vierte Wand war keine Wand, sondern die Fensterseite, mit drei gleich großen Fenstern, und dort waren keine Popstars zu sehen. Dort stand ein … Weiterlesen Der Berg im Fenster.

Das Eis schmilzt.

Es wird allmählich zu heiß, und dennoch friert man immer heftiger. Keine Angst, flüstert die Großmutter, keine Angst, doch die Großmutter, sie ist längst tot, wurde zunächst kalt, dann hat man sie verbrannt. Man erinnert sich daran, wie man einst in ihrer Küche stand und die Hand auf die Herdplatte legte, um herauszufinden, ob sie … Weiterlesen Das Eis schmilzt.

Millennium.

Die Experten im Fernsehen waren bemüht, immer wieder zu betonen, dass sich kein Szenario ausschließen ließe. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden bei den meisten Systemen keine Probleme auftreten. Es könne aber durchaus sein, dass man in manchen Fällen mit Störungen konfrontiert werden würde. Die pessimistischen Stimmen beschrieben derweil den totalen Kollaps. Stromnetze, Verwaltungen, Atomanlagen, Sicherheitssysteme, Kommunikationsmittel … Weiterlesen Millennium.

Allein in der Stadt.

Er fährt in eine Stadt, die er nicht kennt, er fährt ohne Begleitung, ganz allein, ihm ist niemand bekannt, der in jener Stadt wohnt oder zumindest in relativer Nähe lebt, er ist ein Fremder ohne jegliche Bezugspunkte; jedes Gesicht ist ein neues Gesicht, jede Gasse ist unbekanntes Terrain, jede Häuserecke ist Neuland, und alles, was … Weiterlesen Allein in der Stadt.

Marienkäfer.

Bisweilen hustet sie, hält sich die hohle Hand vor den Mund, und obwohl es ein trockener Husten ist, prüft sie die Handfläche auf Auswurf oder Rückstände. Manchmal sind da kleine Stücke einer Banane oder Brotkrumen, je nach dem, was sie gegessen hat. Meistens aber ist nichts zu sehen. Nur die Risse und Furchen ihrer Haut. … Weiterlesen Marienkäfer.

Da capo al fine.

Sie greift an den Hals der Violine, ertastet die Saiten und das schmale Griffbrett, lässt die Fingerkuppen über das glatte Holz des Korpus gleiten. Noch immer, nach all den Jahren, hat sie den Eindruck, die Violine sei ein lebendes Geschöpf, ein Wesen, das atmet und empfindet und reagiert. Sie steht in der Mitte ihres Wohnzimmers, … Weiterlesen Da capo al fine.

Michael Jackson.

Michael Jackson ist tot, und sie hat ihn umgebracht. Dabei liebte sie ihn, damals in der Schule, wie die meisten anderen Kinder auch, er war so anders und so schön, er war so weit weg und doch so nah, er war kein Mensch und ließ sie trotzdem spüren, dass sie selbst ein Mensch war. Michael … Weiterlesen Michael Jackson.

Das Schweigen der Stadt.

Die Konturen der fernen Landschaft sind unverändert, die Zeit hat höchstens einige Dellen hinterlassen. Aber schon am Rand der kleinen Stadt ist nahezu nichts mehr so wie früher, die Erinnerungen scheinen Trugbilder zu sein, die charmanten Holzhäuser mussten grauen Klötzen weichen. Sie fährt ihren kleinen Fiat an den Straßenrand und steigt aus, legt die Unterarme … Weiterlesen Das Schweigen der Stadt.

Jenseits der Schnellstraße.

Seine Frisur war fürchterlich. Er wohnte nebenan, war drei Jahre jünger als ich, und damals waren diese drei Jahre von gigantischen Dimensionen, sie ließen sich kaum einschätzen. Sein Name war Thomas, und eigentlich mochte ich Thomas nicht. Er war nicht nur schrecklich jung, sondern auch schrecklich langweilig, ziemlich dumm und zugleich ziemlich laut. Und eben, … Weiterlesen Jenseits der Schnellstraße.

Konservendosen.

Ein mittelgroßer Supermarkt hat das Haus, in dem sie aufwuchs, vollständig verschlungen; wo früher ihr Schlafzimmer war, sind heute die Konservendosen mit den winzigen Möhren und dem Mexiko-Mais-Mix und den Senfgurken und den kleinen Maiskolben, und während sie vor dem Regal steht und sich fragt, ob Mexiko-Mais-Mix in Mexiko auch Mexiko-Mais-Mix heißt, spürt sie einen … Weiterlesen Konservendosen.

Leichenwagen.

Er steht neben dem toten Körper. Das Wort Leiche widerstrebt ihm. Es wirkt so leer, so unpersönlich. Es klingt wie etwas, das nicht mehr funktioniert. Natürlich trifft dies eigentlich auch zu. Trotzdem möchte er den toten Körper nicht Leiche nennen. Auch wenn es nur eine Taube ist. Nur eine Taube. Nur. Die Beine ragen wie … Weiterlesen Leichenwagen.