Würfel.

Ein anonymer Spieler wirft Würfel auf das Feld, und in diesen Würfeln wohnen wir dann, nennen sie Heim und das Land, das sie umgibt, Heimat. Wir hängen Bilder an die Wände, stellen Tische in die Räume und Vasen auf die Tische und Blumen in die Vasen und nennen das Individualität, und wenn andere Menschen die … Weiterlesen Würfel.

Ein Krokodil, eine Libelle, zwei Körper.

Ein Krokodil am Himmel; langsam öffnet es sein gewaltiges Maul, sein Schwanz windet sich. Eine Libelle in der Luft; unaufhörlich folgt sie ihrer Route, verharrt nur manchmal in der Schwebe. Zwei Körper auf einer Wiese; nackte Haut, keine Zwischenräume, jede Bewegung verdichtet das Spiel. Das Krokodil schnappt zu, gelassen und träge, verschlingt seine unsichtbare Beute. … Weiterlesen Ein Krokodil, eine Libelle, zwei Körper.

Ein Mann, zwei Züge.

Ich rauche meine Freunde bis zum Filter, zumindest beinahe. Dennoch erkennt er einen Wert in jenem Stummel, den ich mangels Alternativen auf den Asphalt fallen lasse. Er hebt ihn auf, nimmt einen Zug, atmet den Rauch schnell ein und umso langsamer wieder aus, zieht ein weiteres Mal an der Zigarette und wirft sie schließlich zur … Weiterlesen Ein Mann, zwei Züge.

Ein Satz über das letzte Wort.

Man sagt oft, Frauen hätten das letzte Wort, und angesichts der Tatsache, dass die statistische Frau einige Jahre länger lebt als der statistische Mann und somit noch sprechen kann, wenn der geschlechtliche Kontrahent längst verstummt ist, wohnt diesem Klischee durchaus ein Körnchen Wahrheit inne, doch ich kenne keine statistische Frau, übrigens auch keinen statistischen Mann … Weiterlesen Ein Satz über das letzte Wort.

Zimmer 507.

Mein Name ist George E. Nelson, und ich bin aus geschäftlichen Gründen nach Hong Kong gekommen. Eigentlich stamme ich aus Louisville in Kentucky, wo ich vor vierzig Jahren zur Welt gekommen bin. Zwischen damals und heute liegen eine durchschnittliche Kindheit, eine durchschnittliche Jugend, durchschnittliche Leistungen in der Schule, durchschnittliche sexuelle Erfahrungen mit durchschnittlichen Mädchen, dann … Weiterlesen Zimmer 507.

Die lächerliche und fiktive Biografie von Francesco.

Vor gefühlten Jahrzehnten, als Unmengen von Zeit in meiner Welt herumlagen, die es totzuschlagen galt, um mich von Gedanken an meine Arbeitslosigkeit und die Irrelevanz meiner Existenz abzulenken, gewöhnte ich mir an, diesem Totschlagen die Form von täglichen Ausflügen zum Supermarkt meines Vertrauens zu geben, der glücklicherweise nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt lag. … Weiterlesen Die lächerliche und fiktive Biografie von Francesco.

Brüste zum Kotzen.

Ein typographischer Faustschlag. In grossen Lettern stellt eine der auflagenstärksten Zeitungen des Landes die brennende Frage, ob ein semiprominentes Model zu flach sei, also zu kleine Brüste habe. Auch in mir flammt eine Frage auf, ich überlege, welcher Aspekt in mir den grössten Brechreiz auslöst. Dass der Körper einer Frau zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion … Weiterlesen Brüste zum Kotzen.

Hinter Gittern.

Man muss kein Verbrechen begehen, um im Gefängnis zu landen, es bedarf keiner Mordwaffe, keines Blutvergiessens, um sich der Freiheit zu berauben, und auch ohne Prozess und Schuldspruch kann man zum Leben hinter Gittern verurteilt werden, ein Leben auf wenigen Quadratmetern, zwischen stummen Mauern, und da ist nicht genug Raum, um nach hinten fallen zu … Weiterlesen Hinter Gittern.

Leben in Zahlen.

Man kann vorsichtig schätzen, wie viele Jahre man als Lebewesen verbringen wird, kann diesen Wert in Tage umrechnen, das Resultat als Nenner festlegen und so zumindest in der Theorie die bruchteilhafte Bedeutung eines Tages im Vergleich zum ganzen Leben definieren. Man kann die Dauer des Schlafes in Relation zu den Stunden eines Tages stellen und … Weiterlesen Leben in Zahlen.

Sie erzählen von der Welt.

Sie erzählen vom pulsierenden Leben in den Strassen von New York und von den endlosen Sandstränden auf den Malediven. Sie erzählen von friedvoller Ruhe in den Wäldern Norwegens und von gestillter Abenteuerlust in Australien. Sie erzählen von der Welt und sie lügen. Die Postkarten, sie hängen in unseren Küchen und Fluren, kleine Fenster, ein Ausblick … Weiterlesen Sie erzählen von der Welt.

Wir müssen aufpassen, dass wir keine Finger im Ärmel verlieren.

Als ich seinen kleinen Arm sanft in den Ärmel führe, sage ich ihm in gespieltem Ernst, wir müssten aufpassen, dass die Hand nicht im Ärmel verloren gehe. Er hat keine Angst, doch er schaut gespannt auf die Öffnung am Ende des weichen Stofftunnels, und als die ersten Finger auftauchen, lacht er laut auf, und wir … Weiterlesen Wir müssen aufpassen, dass wir keine Finger im Ärmel verlieren.

Gefrässige kleine Monster.

Was ist von Bedeutung? Wäre jeder Moment kostbar, würde das Leben aus allen Nähten platzen. Hätte jede Erinnerung enormen Wert, würde die Gegenwart verblassen und verkümmern. Womöglich ist es erschreckend, sich zu fragen, was wirklich wichtig ist, und erkennen zu müssen, wie kurz die Antwort sein kann. Womöglich scheut man deshalb die Frage. Oder sie … Weiterlesen Gefrässige kleine Monster.

Das vierte Bein.

Schon seit Stunden trottet ein unbekannter dreibeiniger Hund neben ihm her, sein viertes Bein im Maul. Es ist ein trauriges Bild, und der alte Mann mag es nicht mehr sehen. Also nimmt er dem Hund das Bein aus dem Maul und schiebt es sich selbst zwischen die Zähne. In der Hand tragen will er es … Weiterlesen Das vierte Bein.

Im Rahmen.

Es mag unendlich sein, das Universum, doch das Bild, das wir uns davon machen, rahmen wir ein. Wir entscheiden, was wir sehen wollen und wo dieser Anblick seine Grenzen finden soll. Alles hat im Rahmen zu bleiben; im Rahmen des Möglichen, im Rahmen des Machbaren, im Rahmen unserer Vorstellungen. Wer aus dem Rahmen fällt, der … Weiterlesen Im Rahmen.

In der Nacht zwischen gestern und heute.

Gestern war alles so leicht, so frei, so bunt auch, beseelt von Unbeschwertheit, manchmal für Augenblicke zerstört, jedoch umgehend regeneriert. Gestern, das war ein leerer Plastiksack, tanzend im Wind, das waren Pusteblumen und Staumauern im Bach, die Welt hörte am Horizont auf und war dennoch unendlich. Heute schleppen wir unsere gepackten Koffer, mähen den Rasen … Weiterlesen In der Nacht zwischen gestern und heute.