Ein Lied über das Gewicht.

Ein leises Knacken in den Knochen, kaum hörbar, kaum da und bereits wieder verstummt, und dennoch dröhnt das Echo in meinen Ohren, lässt mich nicht vergessen. Eine akustische Illusion, ein Mahnmal und Anlass für ein Hinterfragen und Infragestellen des Aushaltens. Ein leises Knacken in den Knochen, ohne Takt und Melodie, und trotzdem, ein Lied über das Gewicht, über Bürde und Last, über das Erträgliche und Ertragbare und über den Moment des ersten Nachlassens. … Weiterlesen Ein Lied über das Gewicht.

Der Sturm der Ruhe.

Ein Hund bellt in der Ferne. Er klingt traurig, seltsam müde. Er klagt und klagt an, wen oder was auch immer. Vielleicht liegen seine Besitzer im Bett, trunken von billigem Bier und schlechtem Fernsehen, und all der Schmutz in ihrem Leben verstopft ihre Ohren, lässt sie taub werden und das Winseln ungehört verhallen. Vielleicht auch … Weiterlesen Der Sturm der Ruhe.

Hier.

Man ist immer hier; unabhängig von Koordinaten, in allen Städten und Ländern, auf jedem Platz und hinter jeder Ecke. Man ist immer hier; kommt von da, geht dorthin, ist da gewesen und will dort mal hin. Man ist immer hier; zu Hause, wo auch immer das sein mag, in der Fremde, die eigentlich überall lauert. Man ist immer hier; im Verlust jeder Orientierung, im Gefühl, fehl am Platz zu sein. Man … Weiterlesen Hier.

Schattierungen von Schwarz.

Die Kohlen liegen als Haufen in der Ecke, Staub schwebt schweigsam durch die Luft, wärmt sich in den Strahlen einer zaghaften Sonne, jedes Geräusch hat sich der Stille ergeben, nur ein Wasserhahn tröpfelt leise Klänge in den Raum. Der Mann wischt sich seine Finger am Hemd ab und zeichnet schwarze Spuren auf den weissen Stoff, … Weiterlesen Schattierungen von Schwarz.

Eingekleidet.

Wir kommen nackt zur Welt und verlassen sie im Anzug, und dazwischen werden wir eingekleidet, erst von elterlichen Händen, dann von der Vorstellung, wie wir auszusehen haben, was wir wo und wann und wie zu tragen haben, und wir kleiden und verkleiden uns, vielleicht zur Tarnung, vielleicht zum Schutz, wovor auch immer, und wir bedecken … Weiterlesen Eingekleidet.

Ein Satz über ein fragiles Gemälde auf ihrem Bauch.

Die Sonne wirft ihr Licht durch ein Fenster und zeichnet ein Rechteck auf ihre Haut, und sie spürt die Wärme, mit leicht zitternden Fingern folgt sie den Konturen der Form, streichelt sie behutsam, wie ein fragiles Gemälde auf ihrem Bauch, und langsam tastet sie sich hin zu ihren Brüsten, beinahe zaghaft gleiten ihre Fingerspitzen nach … Weiterlesen Ein Satz über ein fragiles Gemälde auf ihrem Bauch.

In die nächste Schlacht.

Die Tage zerfallen im Sturm der Zeit und werden zu Ruinen nach dem Krieg, den wir Leben nennen, und was bleibt, ist nicht das, was einst gewesen ist, sondern das, was wir davon noch sehen können; unvollständige Umrisse, zersplitterte Strukturen und Details, die jedem Zusammenhang entrissen wurden; leere Hüllen, aus denen alles Leben entwichen ist. … Weiterlesen In die nächste Schlacht.

Zeit entweicht.

Ein kleiner Junge sitzt vor einem Glas Wein und zieht an seiner Zigarette. Aus seiner Lunge entweicht Rauch, und es entweicht Zeit. Er atmet Vergangenheit aus, sein Leben, gelebt oder ungelebt, und während er den schwebenden Dunst beobachtet, fühlt er sich taumelnd und müde, stürzt haltlos in Richtung Gegenwart. Er kneift die Augen zusammen, wehrt … Weiterlesen Zeit entweicht.

Keine Fragen mehr.

Vielleicht sind wir müde, vielleicht frustriert, vielleicht haben wir bereits resigniert oder halten uns für klug. Wir haben aufgehört, Fragen zu stellen. Bichsel schrieb einst, Kinder lebten in Fragen, Erwachsene jedoch nur noch in Antworten. Aus «Warum gibt es Kriege?» wurde «Es gibt Kriege, es muss sie halt geben.» Fragen zu stellen bedeutet doch, etwas … Weiterlesen Keine Fragen mehr.

Hier sein im Dasein.

Tun, was man nicht lassen kann. Lassen, was man nicht tun kann. Über das Nachdenken nachdenken und daran denken, weniger zu denken. Die Unmöglichkeit einer Möglichkeit erkennen und in Gedanken das Unmögliche möglich machen. Etwas nicht verlieren können, weil man es nicht haben kann, und etwas haben, das man nicht verlieren kann. Fliehen, aber nicht fortkommen, hier sein im Dasein. Sich selbst verraten, um sich selbst nicht zu verraten. Sich selbst … Weiterlesen Hier sein im Dasein.

Ein gutes Stück.

Ich bin ein gutes Stück von mir selbst entfernt und betrachte mich aus der Distanz, ich urteile und verurteile, und irgendwie mag ich mir nicht näher kommen und irgendwie mag ich mich nicht, denn wäre ich ganz bei mir, wäre ich wohl ausser mir, wäre ernüchtert, enttäuscht, doch aus der Ferne verlieren Konturen ihre Härte, … Weiterlesen Ein gutes Stück.

Menschen aus Stein.

Er steht am Eingang zum Friedhof, verharrend am eisernen Tor, und raucht eine Zigarette. Hier ist also der Ort, denkt er, an dem man Frieden findet, die letzte Ruhe, die eigentlich auch die erste und einzige ist. Irgendwo in diesem Garten aus Stein ist sein Platz, und er stellt sich vor, wie fremde Männer sein … Weiterlesen Menschen aus Stein.

Mein Freund hat den Hund des Präsidenten vergiftet.

Sie sagen, er habe den Hund des Präsidenten vergiftet. Und sie sagen es nicht nur, sie schreiben es auch in den Zeitungen, und der Nachrichtensprecher, der immer eine Fliege trägt, lächelt süffisant, wenn er allabendlich davon berichtet. Ein kurzer Film aus dem Archiv der Fernsehgesellschaft zeigt den Dackel, wie er über einen gepflegten Rasen tollt, … Weiterlesen Mein Freund hat den Hund des Präsidenten vergiftet.

Sätze setzen.

Du sortierst die Worte, bringst sie in verschiedene Reihenfolgen, um zu erkennen, dass es wohl keine richtige gibt; du feilst an den Ecken und Kanten der Buchstaben, polierst ihre Oberflächen, damit sie wenigstens glänzen, auch wenn sie nicht strahlen; du versuchst, Sätze so zu setzen, dass sie sitzen, doch sie tun es nicht, sie stehen … Weiterlesen Sätze setzen.

Entschleunigt im Schnee.

Schnee macht die Strassen stumm, entzieht der Welt ihre lauten Farben, entschleunigt die Zeit. Entschleunigt dastehen, der Atem enflieht als Dampfwolke, erstarrt in der weissen Kälte. Und dann sich fragen, wo man ist, wo im Leben, wo in der Zeit, wo im Verlust, im Verlorensein. Sich wundern über den flüchtigen Hauch, dass er noch da … Weiterlesen Entschleunigt im Schnee.

Luna.

PDF: Luna. Für eine beträchtliche Anzahl Menschen sind kunststoffbehandschuhte Hände von Männern oder Frauen in weissen Kitteln der erste Kontakt mit der Welt ausserhalb des Mutterkörpers. Meistens sind diese Hände nicht sonderlich zärtlich oder sanft, sondern gleichen eher der Charakteristik fettiger Greifwerkzeuge von Schnellrestaurantangestellten, die ein in eine bunte Kartonschachtel verpacktes Nahrungsmittelimitat auf ein Tablett legen. … Weiterlesen Luna.

Verharren.

Manchmal zeigt sich die Essenz des Seins nicht im Hinzufügen, sondern im Weglassen, nicht im Schweifenlassen des Blicks, sondern in der Fokussierung, nicht im stetigen Entdecken von Neuem, sondern im Entdecken von Neuem im Bekannten, nicht im Vorwärtseilen, sondern im Verharren, nicht in den Punkten auf der Karte, die man noch erreichen könnte, sondern in … Weiterlesen Verharren.

Am Ufer des Sees II

Das Banale absorbiert dich, nimmt sich Raum, der ihm nicht zustehen sollte. Die Nichtigkeit baut grosse Städte, während das Essenzielle am Rande der Welt steht, in einer Waldlichtung, am Ufer eines Sees oder im stummen Getöse der Meeresbrandung. Was nicht wichtig ist, macht sich wichtig. Was wichtig ist, macht sich rar. Was du nicht brauchst, … Weiterlesen Am Ufer des Sees II

Am Ufer des Sees I

Die Hände in den Hosentaschen vergrabend stehst du am Ufer des Sees. Blickst auf die spiegelglatte Fläche, die im fahlen Licht eines schüchternen Teilmondes vor dir liegt. Und du denkst daran, was hinter dir liegt. Du erinnerst dich an Momente, in denen du am Ufer des Sees standest, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den … Weiterlesen Am Ufer des Sees I

Vom Rand der Zeit.

Vom Rand der Zeit hinein in die Mitte, in das Hier und Jetzt, in das Zentrum eines Herzens, in dessen Räumen sich an manchen Stellen Staub gesammelt hatte, der nun aufgewirbelt im Sonnenlicht tanzt, während in der Mitte etwas blüht, dessen Schönheit über den Rand der Zeit hinaus strahlt. Weiterlesen Vom Rand der Zeit.