Viel zu laut.

Da ist diese Liebe, vollkommen, unumstößlich, bedingungslos, wie sie wohl nur das eigene Kind auszulösen vermag. Ein Gefühl, das keines Hinterfragens bedarf, keiner Deutung; ein Gefühl, so klar und schön und gut. Und dann das. Man wird laut. Sehr laut. Viel zu laut für die Situation, viel zu laut für jede Situation. Ein Tadel wäre … Weiterlesen Viel zu laut.

Vier Finger.

Am Wegesrand liegt ein Mann, nicht jung, nicht alt, vielleicht nicht einmal echt. An beiden Händen sind jeweils nur vier Finger, wie bei Comicfiguren, überhaupt ist er sehr einfach gezeichnet, rudimentäre Züge in einem banalen Gesicht. Man tritt zu ihm hin, fragt ihn, ob alles in Ordnung sei und warum er denn hier liege. Er … Weiterlesen Vier Finger.

Das Beben.

Er hatte gedacht, er könnte das Leben heil überstehen, ohne dass es jemand bemerken würde. Er war doch ein Mann, beinahe zwei Meter hoch und muskulös, er hatte einen gesunden Bartwuchs und eine nennenswerte Anzahl Haare auf der Brust. Er hatte Eier, nicht zu kleine. Er war einer, der Handtaschendamen vor Handtaschendieben beschützte, der ohne … Weiterlesen Das Beben.

Das Honigfest.

Um ihre Honigausbeute gebührend zu feiern, veranstalteten die Bären im Abstand von jeweils 63 Tagen ihr traditionelles Honigfest. Jedes Mal war ein anderer Bär für die Organisation zuständig, stellte seine Höhle als Festsaal zur Verfügung, sorgte für musikalische Unterhaltung, offerierte Getränke und Snacks. Man wechselte sich ab, in festgelegter Reihenfolge, jeder leistete einen Beitrag, niemand … Weiterlesen Das Honigfest.

Rauch und Rauschen.

Irgendwann stellte man sich die notwendige Frage, warum Frau K. durch das geöffnete Schiebedach in den Mercedes von Herrn F. defäkiert hatte. Es schien ein reichlich unkonventionelles Vorgehen, das unweigerlich auf ein vorangegangenes Ereignis schließen ließ, das Frau K. in einer Weise gekränkt hatte, die so heftig war, dass ihr keine andere Reaktion einfiel, als … Weiterlesen Rauch und Rauschen.

Markus und Maria und Manfred und Max.

Markus ist ein Arschficker, ein Rosettenprinz, ein Analschakal, ein Schwanzlutscher. Maria ist eine Leckschwester, eine Lippenstiftlesbe, eine Fotzenleckerin, eine Büchsenmasseuse. Findet jedenfalls Manfred, und Manfred ist ein richtiger Mann. Einer mit Eiern, die er fleißig kratzt, einer, der im Stehen pinkelt, aber nicht vom Pinkeln, sondern vom Pissen redet oder davon, ein Bier in die … Weiterlesen Markus und Maria und Manfred und Max.

Rotkehlchenküken.

Manchmal vergisst er tatsächlich, wie gut er ist. Gut, natürlich ist er nicht immer gut, aber wenn er gut ist, dann so richtig. Dann rettet er all die armen Robbenbabys und gestrandeten Finnwale, und wenn ein Rotkehlchenküken aus dem Nest fällt, dann päppelt er es auf, richtet eine hübsche Kartonschachtel ein und füttert es und … Weiterlesen Rotkehlchenküken.

Amok.

Die Sonnenblumen hatten ihn eigentlich nie sonderlich interessiert. Er hegte weder Groll noch ausgeprägte Zuneigung, sie waren einfach da, standen stumm in jenem Feld, welchem er häufig entlangging, ganz normale Sonnenblumen, und sie waren ihm ziemlich egal. Manchmal blitzten Gedanken auf, eine von ihnen zu pflücken, doch er wusste, dass dies verboten war, also tat … Weiterlesen Amok.

Weinbergschnecken.

«Und dann die Banker, die hungrigen, die nimmersatten. Und dann die Versicherungsmenschen mit ihrem künstlichen Lächeln, den zerknitterten Anzügen aus dem Kaufhaus und den Aktenkoffern voller Kugelschreiber, die sie tausendfach verschenken und dabei so tun, als wäre man ein Auserwählter, wenn man einen erhält. Und dann die Staatsangestellten auf den Ämtern, die sich noch in … Weiterlesen Weinbergschnecken.

Olga bellt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit lautet ihr Name nicht Olga. Aber sie sieht aus wie eine Olga, sie wirkt wie die garstige und übellaunige Trulla aus einem russischen Gesellschaftsroman, an dessen Ende alle Beteiligten sterben, nur eben Olga nicht, die dem eisigen Wind einer unfreundlichen Umwelt mit stoischer Gleichgültigkeit begegnet und sich an der Glut der abgebrannten … Weiterlesen Olga bellt.

Norbert streichelt.

Er hat soeben die Straße überquert, da kommt Norbert eine Katze entgegen. Getrieben von einem offensichtlich instinktiven Verlangen nach Liebkosung nähert sich ihm das Tier mit raschen Schritten und wirft sich mit hochgestelltem Schwanz an seine Beine. Zuerst möchte Norbert die Katze abschütteln, ihm ist nicht nach derartigem Zeitvertreib. Doch dann bleibt er stehen, lächelt … Weiterlesen Norbert streichelt.

Aufstehen.

Der Schlossplatz in St. Petersburg. Bogside in Derry. Der Tian’anmen-Platz in Peking. Der Taksim-Platz in Istanbul. Die Plätze ändern ihre Namen. Was auf ihnen geschieht, bleibt sich gleich. Viele Menschen mit wenig Macht protestieren gegen wenige Menschen mit viel Macht, und die wenigen Menschen untermauern ihre Macht gegenüber den vielen Menschen mit allem, was in ihrer … Weiterlesen Aufstehen.

Beton und Zehen.

Gebrochenen Zehen scheint nichts Positives innezuwohnen. Sie sehen nicht sonderlich hübsch aus, das Anziehen von Schuhwerk wird zum höchst zweifelhaften Vergnügen, und dann sind da die Schmerzen. Die potenziellen Konsequenzen sind so einleuchtend wie abschreckend, und dennoch geht er das Risiko ein. Mit voller Wucht prallt seine Fußspitze gegen die Betonwand. Nichts bricht. Weh tut … Weiterlesen Beton und Zehen.

Die Fackel hoch.

Am Anfang war alles so einfach, so widerstandslos, jeder Schritt war ein Schritt nach vorne, hinein in eine Verheißung, die sich jeden Tag aufs Neue erfüllte, und die Sonne schien ihr warm in den Rücken, die Sonne schien ihr warm ins Gesicht, dann blinzelte sie jeweils kurz, und alles blieb sich gleich, blieb gleich gut, … Weiterlesen Die Fackel hoch.

Ein Schaf namens Charles.

Ein Schaf. Vielleicht heisst es Charles, vielleicht auch nicht. Jedenfalls stellt sich Charles am frühen Morgen auf die Wiese. Die Sonne ist gerade erst aufgestanden und reibt sich die Augen. Schnell bemerkt Charles eine dunkle Wolke am Himmel, weit entfernt am Horizont. Sie ist beinahe schwarz, und ja, wenn man genau hinschaut, dann erkennt man … Weiterlesen Ein Schaf namens Charles.

Denksagung.

Er denkt: Was denkst du? Er sagt: Was denkst du? Sie denkt: Du willst wirklich wissen, was ich denke? Sie sagt: Nichts. Er denkt: Wenn du sagst, du denkest nichts, denkst du in der Regel nichts Gutes. Er sagt: Das glaube ich nicht. Sie denkt: Eigentlich solltest du wissen, was ich denke. Sie sagt: Kannst … Weiterlesen Denksagung.

Muttermal, 15:15.

Es ist viertel nach drei Uhr nachmittags. Ich stehe in der Dunkelheit des fensterlosen Korridors und blicke durch die leicht geöffnete Tür zum Schlafzimmer. Auf dem Bett liegt Christina, meine Frau. Sie ist nackt, ihre Augen sind geschlossen. Sonnenstrahlen klammern sich an kleine Schweisstropfen auf ihrer Haut. Sie atmet schwer, stöhnt leise. Wenn ich einen … Weiterlesen Muttermal, 15:15.