Wer du bist.

Wer du bist? Du bist deine Hände und deine Füße. Du bist deine Augen und deine Ohren. Du bist deine Haare und wie du sie trägst. Du bist dein Geruch und dein Geschmack. Du bist deine Zähne und wie häufig du sie putzt und ob du Zahnseide verwendest. Du bist deine Zunge, deine Lippen, dein … Weiterlesen Wer du bist.

In alten Mauern.

Knarren im Gebälk, hier ein Knacken, dort ein Knirschen. Die Wände tragen tiefe Furchen, und in den Furchen sammeln sich Staub und Schmutz und tote Zeit. Durch die kleinen Fenster dringt entsättigtes Licht in die Räume, malt monochrome Bilder. Sie blinzelt. Ihre Schulter schmerzt, und wenn sie ihren Kopf neigt, hört sie ein leises Klicken, … Weiterlesen In alten Mauern.

Eine andere.

Sie stellt sich vor, wie es wäre, eine andere zu sein, doch sie scheitert, wie so oft, nein, wie immer, wie jedes Mal, denn die Vorstellung, eine andere zu sein, endete bisher ausnahmslos im Scheitern, im Misslingen, im Fehlschlagen, sie kann wohl noch tausend Mal versuchen, sich vorzustellen, eine andere zu sein, und dennoch bleibt … Weiterlesen Eine andere.

Schleifpapierhaut.

An ihrem Oberschenkel ist eine raue Stelle. Die Haut ist Schleifpapier dort, grob und unnatürlich. Von Auge ist kein Unterschied auszumachen, die Stelle sieht genau gleich aus wie die umliegende Haut. Doch sie fühlt sich vollkommen anders an. Zunächst fand sie es irritierend, dieses merkwürdige Aufbrechen der ansonsten feinen Oberfläche. Doch seit dem ersten Bemerken … Weiterlesen Schleifpapierhaut.

Hand.

Die Finger werden zu Beinen, der Handrücken zum Rumpf; es braucht keinen Gott, um zu erschaffen. Das kleine Wesen, es schüttelt sich, streckt seine Glieder. Es sind Dehnübungen, es wärmt sich auf, als wäre es im Begriff, Sport zu treiben oder größere Anstrengungen zu unternehmen. Zunächst jedoch tastet sich das Wesen nur ganz langsam voran, … Weiterlesen Hand.

Der Gescheckte Nagekäfer.

Sara beobachtet den Käfer auf dem Fenstersims. Er geht einige Schritte und bleibt dann stehen, tastet mit seinen Fühlern um sich. Dann geht er weiter, bleibt wieder stehen, geht weiter, bleibt stehen, seine Bewegungen wirken wie ein Tanz, ungelenk zwar, aber dennoch mit einer gewissen Eleganz. Sara schließt den Fensterladen. Es ist heiß draußen, ein … Weiterlesen Der Gescheckte Nagekäfer.

Knoten.

Nach dem Duschen stellt sich Emma vor den Spiegel. Sie führt ihre Nase zu ihrem Unterarm und atmet ein. Sie mag den Duft des Duschgels auf ihrer Haut, mag die Frische und Sauberkeit, für die es steht. Dann betrachtet sie ihren Körper. Sie tut das viel zu selten, sollte doch eigentlich häufiger hinschauen, genauer hinschauen, … Weiterlesen Knoten.

Der Spagat.

Beim Aufräumen des Kellers gerät Eva ein Foto zwischen die Finger. Es zeigt sie als kleines Mädchen im Wohnzimmer ihres Elternhauses. Der Teppich ist grau, er weckt Erinnerungen, sie weiß noch immer, wie er sich anfühlte unter den Handflächen. Im Hintergrund sieht man eine alte Anrichte mit Glaseinsätzen in den Schranktüren. Einmal zerbrach eine dieser … Weiterlesen Der Spagat.

Prothesen.

Eine wohlmeinende Stimme hatte ihr noch abgeraten, und natürlich klang die wohlmeinende Stimme wie die Stimme ihrer Mutter, alle wohlmeinenden Stimmen klangen wie die Stimme ihrer Mutter, aber auch dieses Mal kam der Ratschlag nicht von ihrer Mutter, sondern von einem anderen Menschen, ihre Mutter war noch immer tot, wie jeden Tag, seitdem sie gestorben … Weiterlesen Prothesen.

Ursache und Wirkung.

Der Vorhang flattert ein wenig. Das Fenster ist geöffnet, ein leichter Wind dringt hindurch, und darum bewegt sich der Vorhang. Ursache und Wirkung. Die Welt ist so einfach, denkt sie. Tim ist gerade in die Küche gegangen, um Wein zu holen. Sie sollte eigentlich nicht hier sein, sie hat hier nichts zu suchen, sie hat … Weiterlesen Ursache und Wirkung.

Doppelt drehen.

Doppelt drehen. Doppelt drehen ist wichtig. Doppelt drehen macht sicher, macht sicherer. Der Metallbolzen ragt dann weiter in den Türrahmen hinein. Eigentlich weiß er, dass auch dann, wenn er nur einmal drehen würde, ziemlich sicher niemand in seine Wohnung eindringen würde. Wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn er die Tür unverschlossen ließe. Trotzdem, sicher ist sicher, … Weiterlesen Doppelt drehen.

Eefje.

Sie trafen sich in einem Pub in London. Er weiß nicht mehr, wie es hieß, doch er redet sich ein, dass man das Pub Destiny nannte, Schicksal. Er redet sich vieles ein. Manchmal schnüffelt er an seinem Unterarm und will sich davon überzeugen, dass er dabei winzig kleine Partikel von ihr einatmet, die dem Wind … Weiterlesen Eefje.

Dieser Körper.

Bisweilen befreit sie sich von diesem Körper, zieht ihn aus wie eine Taucherin ihren Neoprenanzug, hängt ihn an den Haken und muss sich zunächst daran gewöhnen, dass ihr Inneres freigelegt ist. Meistens legt sie sich dann ins Bett, deckt sich zu und wartet, bis sie in den Schlaf gleitet. Dort ist sie sicher. Eigentlich ist … Weiterlesen Dieser Körper.

Fledermäuse.

An der Wand hängt ein Bild von Mahatma Gandhi, und in der Regel starrt er lediglich ein wenig schläfrig in den Raum, doch manchmal ist er damit beschäftigt, einen Zauberwürfel zu bearbeiten und die gute alte Perfektion der gleichen Farben wiederherzustellen, oder er isst einen Apfel, meistens Golden Delicious, oder er schneidet Grimassen, und jetzt … Weiterlesen Fledermäuse.

Zerren am Gewebe.

Wenn sie sich berührt, fühlt sie sich lächerlich. Das war nicht immer so, im Gegenteil. Sie pflegte es zu genießen, im Alleinsein noch viel stärker als in jeglicher Art der Zweisamkeit. Diese Momente der absoluten Intimität verliehen ihr eine Art der Zufriedenheit, die weit über die rein körperliche Befriedigung hinausging. Sie empfand ein Gefühl der … Weiterlesen Zerren am Gewebe.

Wider Erwarten.

Du musst dein Zimmer aufräumen, du musst lesen, du musst schreiben, du musst Danke sagen, du musst höflich sein, du musst addieren und subtrahieren und multiplizieren und dividieren, du musst ein Instrument spielen, lieber Geige als Gitarre, du musst pünktlich sein, du musst lernen, du musst dir Mühe geben, du musst auf die Zähne beißen, … Weiterlesen Wider Erwarten.

Björn Borg.

Seine Hände sind warm und weich, so warm und weich, dass sie erschrickt und zusammenzuckt. Sie entschuldigt sich für ihre Reaktion, doch er schweigt. Maria weiß nicht genau, wann sie zum letzten Mal von einem Mann berührt worden ist, wirklich berührt, bewusst. Vielleicht ist es fünfzehn Jahre her, wahrscheinlich mehr. Damals war es Hugo, ihr … Weiterlesen Björn Borg.

A. und O.

Sie fragen sich nicht, wie sie hier gelandet sind, in diesem innigen Raum, an diesem warmen Punkt, in diesem wahrhaftigen Moment. Sie sind nur froh, dass es so ist. Auf der Haut verdunstet der frische Schweiß, ihrer beider Atem wird allmählich wieder langsamer. Frau O. und Frau A. liegen auf dem Bett und aneinandergefügt, als … Weiterlesen A. und O.

Stechen.

Wenigstens friert sie nicht. Immerhin. Sie zittert nicht, die Haut wirft keine Beulen. Ihr ist auch nicht zu heiß, da ist kein kalter Schweiß, auch kein warmer. Überhaupt spürt sie sehr wenig, selbst heftige Winde weichen ihr aus, Regentropfen ändern kurz vor dem Aufprall die Richtung. Nichts vermag sie zu berühren. Aber wenigstens friert sie … Weiterlesen Stechen.