Lena rennt.

Sie rennt und rennt, rennt und rennt, und während sie rennt, hört sie es dumpf in ihren Ohren pochen, hört den Rhythmus ihres Herzschlags, er klingt wie ein elektronischer Beat, und sie denkt an den Film Lola rennt und an die treibende Musik darin und daran, dass Lola rennt, weil sie Geld besorgen will, das … Weiterlesen Lena rennt.

Wir bluten aus.

Es beginnt mit einem Tropfen, wie jede Sturmflut, jeder Wolkenbruch, jede Überschwemmung mit einem Tropfen beginnt. Auf den ersten Tropfen folgen weitere Tropfen, und mögen einzelne Steine zu Beginn noch heiß und trocken bleiben, werden sie zunehmend abgekühlt und überschwemmt. Die Flüssigkeit dehnt sich aus nach allen Seiten, erobert neue Gebiete, überschreitet jede Grenze, nimmt … Weiterlesen Wir bluten aus.

Alles so leicht.

Die hohen Grashalme neigen sich leicht im Wind und der Wind ist warm und die Wärme ist spürbar auf der Haut, die Sonnenstrahlen dringen durch die Poren, durch Fleisch und Blut bis tief hinein ins Innerste, und die wenigen Wolken hängen in Fetzen am Himmel, jede von ihnen wirkt wie eine wilde und freie Kreatur, … Weiterlesen Alles so leicht.

Überflüssig.

So vieles im Leben und auf der Welt ist ziemlich überflüssig, absolut verzichtbar und vollkommen unnötig. Zum Beispiel manche Adjektive. Schnecken im Salatbeet. Die Tatsache, dass Nutellabrote beim Herunterfallen immer mit der Nutellaseite auftreffen. Die Art und Weise, wie man das Klischee, dass Nutellabrote beim Herunterfallen immer mit der Nutellaseite auftreffen, zur Tatsache erklärt. Mücken … Weiterlesen Überflüssig.

Schaf gut.

«Verflucht», flucht die innere Stimme, «verdammt noch mal!» Eigentlich ist man gar nicht sonderlich verschwenderisch im Umgang mit Kraftausdrücken, in der gegenwärtigen Ausnahmesituation ist Zurückhaltung jedoch fehl am Platz. «Verflucht! Verdammt noch mal! Man will doch nur schlafen!» Aber das Einschlafen, es will nicht funktionieren, und Dinge, die nicht funktionieren, bergen ein beträchtliches Frustpotenzial. Wenn … Weiterlesen Schaf gut.

Gregoria ist verärgert.

Gregoria ist verärgert, sie ist wahrlich verärgert, nicht immer, aber doch ziemlich häufig, sehr häufig sogar, denn das Wort ziemlich ist ziemlich relativierend, fast so relativierend wie das Wort relativ, und Gregoria ist nicht relativ häufig verärgert, auch nicht ziemlich häufig verärgert, sondern sehr häufig verärgert, sie ist auch verärgert über Wörter wie ziemlich und … Weiterlesen Gregoria ist verärgert.

Zum Glück.

Man sagt, dass Glück und Unglück nahe beieinander liegen, somit kann man Glück und Unglück als Nachbarn verstehen, kann sich ein überschaubares Einfamilienhausquartier vorstellen, und in einem der Häuser wohnt das Glück und im Haus daneben wohnt das Unglück. Nun geht in der Nähe dieses Einfamilienhausquartiers ein Kind ins Schwimmbad, überschätzt seine Schwimmfähigkeiten und ertrinkt … Weiterlesen Zum Glück.

Werner Huber hat genug.

Ich habe genug, ruft er, und er tut es laut, mit einem metallischen, schneidenden Klang in der Stimme. Seine Botschaft durchbricht die träge Stille, die in den Räumen der Pflegestation liegt, hallt von den zumeist kahlen Wänden zurück. Kurz ist das Klappern von Geschirr zu hören, dann wieder der Ausruf. Ich habe genug! Es ist … Weiterlesen Werner Huber hat genug.

Wollen müssen.

Man muss nur wollen, sagt eine Person, die Sofia kennt, also nur rudimentär kennt, eine Peripherbekanntschaft sozusagen. Sofia erinnert sich nur an guten Tagen an den Vornamen dieser Person, und heute will ihr der Vorname nicht einfallen. Sie spielt das Alphabet durch, um so vielleicht herauszufinden, mit welchem Buchstaben der Vorname beginnt, aber sie gelangt … Weiterlesen Wollen müssen.

Ein sich die Haare raufendes Nein.

Es ist wichtig, dass man darüber redet. Es ist wichtig, dass man die Dinge ausspricht, sie diskutiert. Es ist wichtig, dass man sich auf die Meinung des Gegenübers einlässt und sie mit der eigenen vergleicht. Dass man sich auf die eigenen Argumente berufen kann, ohne anderslautenden Wortmeldungen gleich die Existenzberechtigung abzusprechen. Es ist wichtig, dass … Weiterlesen Ein sich die Haare raufendes Nein.

Kopfschüttler.

Es ist ein sehr lautes Kopfschütteln, der Klang erinnert an ein rostiges Gartentor, was eigentlich überraschend ist, denn Herr und Frau Kopfschüttler sind durchaus geübt im Kopfschütteln, sie tun es häufig und meistens synchron, ab und zu unterbrochen von einem «Tststs» oder einem «Ach» oder einem anderen Laut, der Missbilligung und Unverständnis zum Ausdruck bringen … Weiterlesen Kopfschüttler.

Das Maß aller Dinge.

Vera schraubt die Kappe des Lippenstifts ab, führt ihn an ihren Mund, trägt ihn auf, achtsam, sparsam, nicht zu viel, nicht zu wenig, mit größter Akkuratesse. Das richtige Maß ist wichtig, das richtige Maß ist entscheidend, das ist bei allen Dingen so. Sie schürzt die Lippen und schaut in den Spiegel. Die Frisur sitzt perfekt, … Weiterlesen Das Maß aller Dinge.

Nicht nichts tun.

Am Ende des Himmels kündigt sich freundliches Wetter an, die dichte graue Decke geht in ein mildes Hellblau über, in das sich vereinzelte Wolkenfetzen mischen. Man hatte doch an das Gute geglaubt, man hatte gehofft, weil Hoffnung oftmals die letzte Zuflucht ist, man hatte sich an alles geklammert, das Halt versprach. Manchmal war es schwierig, … Weiterlesen Nicht nichts tun.

Tempo.

Man sitzt in diesem Zug, nicht etwa im rumpeligen Regionalbähnchen, sondern in einem dieser Hochgeschwindigkeitszüge, TGV oder ICE oder Shinkansen, und man rast durch die Welt und rast durch die Zeit, und draußen vor dem Fenster sieht alles aus wie ein abstraktes Gemälde, mit verschmierten Flächen in Grün und Braun und Weiß, die Landschaft zerrinnt … Weiterlesen Tempo.

Plastik.

Manchmal schrumpft die Welt zu einem einzigen Raum, und dieser Raum ist gefüllt mit künstlichen Pflanzen, bunten und grünen Kunststoffgebilden, die versuchen, die Natur nachzuahmen, dabei aber doch nur Plastik sind, entstanden in einer großen Fabrik, in der unzählige Menschen arbeiten, die man nicht kennt, und diese Menschen drücken Knöpfe und fügen Teile zusammen und … Weiterlesen Plastik.

Die Tänzerin.

Das klingt jetzt sehr seltsam und wohl auch ziemlich unglaubwürdig, aber es ist wahr, voll und ganz und absolut. Es ist keine große Geschichte, sie ist schnell erzählt, ein einziger Satz genügt: In der Nacht, wenn sie ganz allein ist und niemand sie sieht, stellt sich eine junge Frau irgendwo in dieser kleinen Stadt auf … Weiterlesen Die Tänzerin.

Mit großem Bedauern.

Als Frau Lehmann den Brief liest, vermag sie ihn zunächst gar nicht zu begreifen. Auf den ersten Zeilen steht in knappen Worten geschrieben, dass die Supermarktkette, für die Frau Lehmann arbeitet, sich in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld bewege, sich konsequent um Effizienz bemühen und Optimierungspotenziale nutzen müsse. Einen Abschnitt weiter unten erklärt man ihr in … Weiterlesen Mit großem Bedauern.