Am Ende des Himmels kündigt sich freundliches Wetter an, die dichte graue Decke geht in ein mildes Hellblau über, in das sich vereinzelte Wolkenfetzen mischen. Man hatte doch an das Gute geglaubt, man hatte gehofft, weil Hoffnung oftmals die letzte Zuflucht ist, man hatte sich an alles geklammert, das Halt versprach. Manchmal war es schwierig, dann hatte man Drogen genommen oder sich betrunken oder Schlagzeug gespielt. Man hatte geliebt, die Liebe war Benzin, war Treibstoff, das Lieben war ein besinnungsloses Rasen, ein Stoßen und Zerren, die Körper drängten zueinander, im Sehnen nach Reibung. Hin und wieder sah man ein totes Schaf auf einer Wiese liegen, einmal sogar einen Büffel, am Strand angeschwemmte Wale. Man konnte ja nichts tun, also tat man nichts, man konnte ja nichts ändern, also änderte man nichts und taumelte weiter, die Musik stets viel zu laut, um den merkwürdigen Geräuschen zu trotzen.
Man sah einen Mann, der ein Schild in die Höhe hielt. Das Ende ist nah! Man las immer wieder, was auf dem Schild geschrieben stand, doch man konnte es nicht verstehen, und weil man es nicht verstehen konnte, machte man sich darüber lustig. Man lachte den Mann aus, und hätte jemand gefragt, warum man lache, hätte man schulterzuckend in eine andere Richtung geschaut. Doch niemand fragte. Irgendwann verschwand der Mann, ließ das Schild achtlos auf dem Boden liegen. Man hob es hoch und nahm es mit, verstaute es in einem Schrank, zwischen einem zerbeulten Hut und einigen alten Briefen und einem kleinen Plüschaffen und Schlüsseln, die nirgends passten, und einer Bronzemedaille, die man einst bei einem Sportturnier gewonnen hatte. Man vergaß das Schild und erinnerte sich erst, als das Ende nahte.
Obwohl man noch immer taumelte, reckte man sich, streckte den Rücken durch und ballte eine Faust. Womöglich konnte man noch immer nichts ändern, aber man musste dennoch etwas tun, man konnte nicht mehr nichts tun. Die merkwürdigen Geräusche waren längst viel zu laut geworden, viel zu schrill, zu betäubend. Die Musikanlage stand mittlerweile zwischen dem alten Hut und den Briefen und der Bronzemedaille. Den kleinen Plüschaffen hatte man aus dem Schrank geholt, er war noch immer so weich und unschuldig wie früher. Und eben das Schild.
Wie man nun in der Menge steht, sieht man plötzlich den Mann, der einst das Schild in die Höhe gehalten hatte, jenes Schild, das man nun selbst in Händen hält. Er blickt nur kurz hinüber und nickt. Dann reckt er die Hand in die Luft und ruft etwas. Man kann nicht genau verstehen, was er ruft, aber man versteht den Mann. Man lauscht den Sprechchören, und als man glaubt, sich den Rhythmus und die Worte angeeignet zu haben, ruft man mit, und die eigene Stimme vermengt sich mit unzähligen anderen. Irgendwo steigt Rauch auf, hängt grau über den Köpfen. Man weiß nicht genau, was und wo es brennt, aber man ist nicht überrascht.
Es gibt Situationen, in denen das Tosen und Dröhnen und Rufen überfordern, man spürt den trockenen Hals und ein leichtes Stechen beim Schlucken. Man bewegt sich, und weiß nicht genau, wohin man geht, doch man ist ziemlich sicher, dass die Richtung stimmt. Und irgendwann, irgendwann hört das Tosen auf. Am Ende des Himmels kündigt sich freundliches Wetter an.

Ich hoffe, das ist nicht dein letzter Beitrag. Der hat schon so etwas von resigniertem Siechtum…
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Ach, so resigniert ist der doch gar nicht, schliesslich sind die Wetteraussichten gar nicht so schlecht… Und nein, der letzte war’s noch nicht… Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Da bin ich froh, danke für die positive Nachricht. LG Wolfgang
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