Man sitzt in diesem Zug, nicht etwa im rumpeligen Regionalbähnchen, sondern in einem dieser Hochgeschwindigkeitszüge, TGV oder ICE oder Shinkansen, und man rast durch die Welt und rast durch die Zeit, und draußen vor dem Fenster sieht alles aus wie ein abstraktes Gemälde, mit verschmierten Flächen in Grün und Braun und Weiß, die Landschaft zerrinnt zu einem einförmigen Brei, der vor den Augen in unbändigem Tempo vorüberfließt, ohne dass man etwas erkennen oder gar betrachten kann, und die Geschwindigkeit, sie muss wohl sein, nur so kommt man vorwärts, nur so kommt man weiter, immer weiter, und während der Fahrtwind in den Ohren rauscht, kann man kaum atmen, alles rast, alles eilt, alles drängt, und dann, ganz plötzlich, bremst der Zug abrupt ab und kommt stotternd zum Stillstand. Das System stoppt. Man räuspert sich und wundert sich und steigt vorsichtig aus, gemeinsam mit allen Mitreisenden. Draußen sieht man sich um. Ein Berg in der Ferne hat die Form eines Bärenkopfes. Eine Wolke am Himmel erinnert an ein Krokodil. Ein Magnolienbaum blüht. Ein Mäusebussard kreist über einem Feld und wird dabei von einer Krähe gestört. Eine Hummel fliegt summend von Blüte zu Blüte. Ein Sitznachbar aus dem Zug erzählt eine Geschichte aus seiner Kindheit. Eine Bekannte fragt, wie’s geht. Überhaupt sind die Menschen ungewohnt gesprächig. Man redet und redet, man sieht sich um und vergisst die Zeit. Irgendwann schaut man zur Lokomotive. Man wird bald wieder einsteigen müssen. Aber wer weiß, vielleicht fährt der Zug danach dann nicht mehr ganz so schnell.

wunderschön!
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Vielen lieben Dank!
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So ein Text lässt Gedanken in wunderbare Richtungen zu…
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Dann wünsche ich den Gedanken eine gute Reise! Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Hallo, lieber Ralf,
danke für die schöne Geschichte. Ich habe mir erlaubt, auf meinem blog ein wenig von meiner Begeisterung für Deine Texte zu verbreiten und von dort auf Deine Geschichte zu verlinken… ist das okay? Falls nicht, schick mir einfach eine mail und ich nehme den „Werbeblock für Disputnik“ wieder raus aus meinem blog.
Liebe Grüße
Ryka
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Liebe Ryka, das ist natürlich mehr als okay, es freut und ehrt mich sehr! Vielen lieben Dank dir! Und herzliche Grüsse ins Wochenende!
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Oh wie schön, dass Dich das freut, lieber Ralf!
Dann lasse ich den link natürlich mit großem Vergnügen in meinem blog drin und wünsche Dir und Deiner Familie ebenfalls ein sehr schönes Wochenende.
Liebe Grüße zurück aus dem Norden
von Ryka
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Oh, vielen herzlichen Dank, liebe Ryka!
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Feine Parabel, lieber Disputnik …
Herzliche Grüße vom Finbar
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Vielen Dank, lieber Finbar! Herzliche Grüsse zurück!
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