Im Hinterzimmer.

Irgendwo in einem Hinterzimmer in ihrem Kopf springt ein Hund an ihr hoch, und der Hund hat schmutzige Pfoten, schrecklich schmutzige Pfoten, und die schmutzigen Pfoten lassen Spuren auf ihrem hellen Kleid zurück, und sie denkt, na toll, jetzt ist mein Kleid schmutzig, wie sieht das denn aus, und das alles nur wegen diesem dummen … Weiterlesen Im Hinterzimmer.

Kaninchen.

Du bist das Kaninchen im Scheinwerferlicht, wie in dem Song, den Thom Yorke singt, und im Musikvideo zum Song läuft ein Mann durch einen Straßentunnel, wird immer wieder angefahren, fällt hin, wird beschimpft, und schließlich stellt er sich mitten auf die Straße, mit nacktem Oberkörper, breitet die Arme aus und wird von einem Auto erfasst, … Weiterlesen Kaninchen.

Im Boden ist ein Loch.

Wenn sie auf ihre nackten Füße schaut, sieht sie, was die meisten Menschen sehen, wenn sie auf ihre nackten Füße schauen. Zehn Zehen, zwei Mittelfüße, darüber zwei Schienbeine, überhaupt zwei Beine. Sie ist eine Zweibeinerin, und beide Beine funktionieren wie vorgesehen. Sie steht auf diesen beiden Beinen auf dem Boden. So kennt sie ihr Leben. … Weiterlesen Im Boden ist ein Loch.

Gazpacho.

Draußen hängt die Hitze zwischen den Zweigen der Birke im Garten des Nachbarn. Die Hitze hängt auch im Brombeerbusch, im Gestrüpp neben den Briefkästen, über dem Asphalt der kleinen Quartierstrasse, zwischen den Speichen des alten Fahrrads, das offensichtlich niemandem gehört und stumm vor sich hin rostet. Die Hitze, sie hängt überall, nur in Lena hängt … Weiterlesen Gazpacho.

Erosion.

Die Wege, die sie üblicherweise geht, tragen keine Verbindlichkeit in sich. Die Bilder, die das Licht in ihre Augen malt, wirken diffus und fremd. Die Gerüche, die ihr vertraut sein müssten, wecken lediglich Verunsicherung. Die Berge, denen sie entgegenruft, werfen keinen Widerhall zu ihr zurück. Die Worte, die sie spricht, klingen wie Behauptungen, die früher … Weiterlesen Erosion.

Die Verkabelung.

Sie wohnt in einem gefährlichen Haus. Da sind morsche Balken, knarrende Dielen. Da sind Löcher im Dach und kleine Ritzen in der Fassade, durch die der Wind pfeift. Doch vor allem ist da die Verkabelung. Die elektrischen Installationen sind nicht sicher. Sie sind alt und brüchig. Obwohl sie die Kabel nicht sehen kann, weil sie … Weiterlesen Die Verkabelung.

Sieben Sekunden.

Die Zeit platzt bisweilen aus ihren Nähten. Von den vierundzwanzig Stunden, die den Rhythmus ihres Daseins strukturieren, kann die Frau zumeist nur deren vier oder fünf entbehren, um sich in ihrem lieblosen Schlafzimmer einen lieblos gezimmerten Schlaf zu gönnen. Die übrigen Stundenbruchteile sind gefüllt mit den Dingen des Alltags, mit Druck und Erwartungen, von anderen … Weiterlesen Sieben Sekunden.

Atomar.

Draußen vor dem Fenster zieht ein Atomkraftwerk vorüber. Der weiße Dampf steigt in den blauen Himmel, langsam und seltsam träge, als wäre er schwer und plump. Der Rest der Welt wirkt neben dem mächtigen Gebilde verschwindend klein, ordnet sich der Größe der Kühltürme unter wie kleine Insekten einer riesigen Königin. Es scheint unmöglich, ein Atomkraftwerk … Weiterlesen Atomar.

Bestie.

Sie ist längst kein kleines Mädchen mehr, die Ängste der Kindheit hat sie im Geröll der Zeit begraben. Doch sie fürchtet den Wolf. Häufig vergisst sie, dass es ihn gibt, oder kann es zumindest vermeiden, an ihn zu denken. Wenn ihr die Angst jedoch wieder unter die Haut kriecht, macht sie ihr den Hals trocken … Weiterlesen Bestie.

Die Wölfin.

Draußen heulen die Wölfe. Sie bohrt in der Nase. Nicht zwanghaft, eher beiläufig. Zwanghaftes Nasenbohren wird als Rhinotillexomanie bezeichnet, ein suchtartiges Verhalten mit Krankheitswert, zumindest sagte das einst ihr Onkel, und ihr Onkel musste es wissen, schließlich war er Psychiater. Sie hat keine Ahnung, warum sie sich noch an den Begriff Rhinotillexomanie erinnert, er ist … Weiterlesen Die Wölfin.

Asbest.

Du zündest eine Kerze an. Die brennende Kerze, sie dient nicht dem Zweck, Licht zu spenden oder Wärme. Du magst lediglich die Stimmung, die sie erzeugt, doch darüber hinaus wohnt ihr keinerlei überhöhte Symbolik inne, sie soll an niemanden erinnern, und dennoch erinnert sie dich an jemanden. Jemand, den du kennst, ist verbrannt, in seinem … Weiterlesen Asbest.

Das perfekte Versteck.

Ein Stück Rinde steht vom Holzstapel ab, ragt hinaus und zeichnet sich wie ein Dolch vor dem schwarzrotblauen Himmel ab, der sich von Minute zu Minute verdunkelt. Er würde das merkwürdige Objekt gerne berühren, es in die Hände nehmen, doch es befindet sich zu weit oben; um es zu erreichen, müsste er am Holzstapel hochklettern, … Weiterlesen Das perfekte Versteck.

Mojito.

6 cl weißer Rum, 1 TL weißer Rohrzucker, 1 Limette, 6 bis 8 Blatt frische Minze, Sodawasser, Crushed Ice. Sie ist alkoholisch geschult und weiß, dass es sich um die Zutatenliste für einen Mojito handelt, doch warum sie auf der Zahnpastatube geschrieben steht, ist ihr ein Rätsel, wenngleich nur ein mittelgroßes. Ungleich grösser ist das … Weiterlesen Mojito.

Zähne.

Sie will ihn lieben, doch es ist nicht einfach. Wenn er lächelt, blitzen seine Zähne auf. Sie mag das. Doch die Zähne blitzen auch auf, wenn er nicht lächelt. Er raubt ihr den Atem, wenn er sie umarmt, aber wenn er sie umarmt, bekommt sie keine Luft. Manchmal hustet sie, dann weicht er zurück und … Weiterlesen Zähne.

Der Hauch des Todes.

Er habe Mundgeruch, murmelt sie mit belegter Stimme, ein bisschen, oder vielleicht auch ein bisschen mehr als nur ein bisschen. Mehr sagt sie nicht, sie schläft schon halb, als sie ihm diese Erkenntnis mitteilt, und einige Sekunden später schläft sie wohl ganz, denn ihr Atmen verändert sich, wird regelmäßiger. Eigentlich ist es nett, dass seine … Weiterlesen Der Hauch des Todes.

Geisterfahrer.

«…kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen.» Thea hat soeben den Sender gewechselt und hört nur noch das Ende der Durchsage im Autoradio. Sie weiß nicht, wo der Geisterfahrer unterwegs ist, und dieses Unwissen macht ihr Angst. Er könnte überall sein, der Geisterfahrer, doch überall, das ist unter anderem auch dort, wo sie ist. Sie klammert ihre … Weiterlesen Geisterfahrer.

Plastik.

Manchmal schrumpft die Welt zu einem einzigen Raum, und dieser Raum ist gefüllt mit künstlichen Pflanzen, bunten und grünen Kunststoffgebilden, die versuchen, die Natur nachzuahmen, dabei aber doch nur Plastik sind, entstanden in einer großen Fabrik, in der unzählige Menschen arbeiten, die man nicht kennt, und diese Menschen drücken Knöpfe und fügen Teile zusammen und … Weiterlesen Plastik.

Ihr Freund.

Wenn sie allein ist, ist sie nicht allein, und weil sie nicht allein ist, wenn sie allein ist, ist sie nie allein. Sie hat einen Freund, den nur sie sehen kann. Sie weiß, dass niemand sonst diesen Freund sehen kann, und sie weiß, dass dieser Freund niemanden sonst sehen kann, nur sie. Es ist ein … Weiterlesen Ihr Freund.

Margeriten.

Sie schaut auf ihre Schuhe, auf die Art und Weise, wie die Schnürsenkel zur Seite hängen. Sie betrachtet die Stelle, an welcher die lederne Zunge des Schuhs endet und ihr Bein beginnt, diese Grenze zwischen der Haut eines toten Tieres und der Haut eines lebendigen Menschen. Es ist seltsam, wie sich alles ineinanderfügt, aber dennoch … Weiterlesen Margeriten.