Kannibalen.

Wir sind keine Kannibalen, doch wir können hungrig sein, hungrig aufeinander. Ein Hunger nach Fleisch und Blut, ein Hunger nach Haut und Haar. Wir verzehren uns nicht, aber verzehren uns nach uns, ich verzehre mich nach dir und zehre von allem, was da ist, was bleibt. Der Hunger lässt keinen Magen knurren, die Sehnsucht wohnt … Weiterlesen Kannibalen.

Die Welt ein Rechteck.

Sie ist immer da, in ihrem Rechteck, jeden Tag, vom Erwachen bis zum letzten Licht. Es ist ein Fenster in der obersten Etage des Altersheimes. Manchmal steht sie, auf das Fensterbrett gestützt. Sie ist klein und breit. Manchmal sitzt sie, dann ist nur ein Teil des Kopfes sichtbar. Doch sie ist immer da, in ihrem … Weiterlesen Die Welt ein Rechteck.

Drei Tage nach Halbmond.

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in neue, and’re Bindungen zu geben. Und … Weiterlesen Drei Tage nach Halbmond.

Schlecht im Bett.

Ich bin schlecht im Bett. Richtig schlecht. Es ist ein Glück, dass sich nicht alle Frauen, mit denen ich jemals unter einer Decke steckte, zu einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen haben, um ihr diesbezügliches Trauma bewältigen zu können. Meine Qualitäten als Liebhaber verkümmern weit unter dem Durchschnitt, in einer Disziplin, in welcher auch Durchschnittsnoten mangelhaft sind. Das … Weiterlesen Schlecht im Bett.

Haltentgleiten.

Man kann sie halten, die Dinge, ohne dem Halten einen Gedanken zu schenken, alles ist ruhig, alles ist gut. Man hält den Teller, den Taschenspiegel, man hält das gefüllte Weinglas, alles ist klar, alles selbstverständlich. Im Moment des Entgleitens ist es bereits zu spät, es gibt kein Zurück mehr, und während das Weinglas fällt, verharrt … Weiterlesen Haltentgleiten.

Sitzgelegenheit.

Da ist diese Sitzgelegenheit, und er nimmt die Gelegenheit wahr, und nun sitzt er da, am Bahnhof, inmitten von Menschen, die er nicht kennt, Menschen, die ihm eigentlich nichts bedeuten, und doch geben sie ihm viel, sie füllen die leere Zeit, von der er Unmengen hat, und das Gemurmel der Leute und das Stöckelschuhgeklapper, das … Weiterlesen Sitzgelegenheit.

Gute Gründe.

Du musst uns gute Gründe liefern. Dass dir ein Zugang zu Schule und Beruf ebenso verwehrt bleibt wie unverschmutztes Trinkwasser, ist keiner dieser guten Gründe. Wenn dein Sohn kein Kind sein darf, sondern als Soldat zu dienen hat, wenn deine Töchter geschändet und verschleppt werden, wenn eine Mine in dein Bein beisst und Flammen deine Hütte fressen, kümmert es uns nicht, und wenn du sterben solltest, dann stirbst … Weiterlesen Gute Gründe.

Auf dem schmalen Grat.

Wir gehen auf dem schmalen Grat, denn es gibt keinen anderen Weg, dies ist unsere Route, und die Wegweiser, sie zeigen nicht nach Norden oder Westen, sondern stets auf uns. Da ist kein Handlauf, keine Brüstung, kein Seil, das uns sichert, und wenn wir fallen, fallen wir tief. Niemand wacht über uns, niemand fängt uns … Weiterlesen Auf dem schmalen Grat.

Raupen sind doof.

Raupen sind doof, Raupen sind nimmersatt, machen Salatblätter löchrig und Salatzüchter wütend. Schmetterlinge sind schön, sind herzerwärmend, kein anderes Tier darf in unseren Bäuchen fliegen. Wir preisen die inneren Werte, nichts sei uns wichtiger; jede Oberflächlichkeit bestreiten wir heftig, unser Sozialverhalten erscheint uns distinguiert, wir haben immer Recht, und sollten wir einmal falsch liegen, ist … Weiterlesen Raupen sind doof.

Du da.

Wenn all der Ballast wegfällt, wenn Tand und Trödel von den Regalen geräumt und leere Becher entsorgt sind, wenn der Zierrat verschwunden und jeder Fetzen Papier zerknüllt ist, wenn alles, was nicht benötigt wird, auch nicht mehr gebraucht wird, wenn alles, was nicht da sein muss, auch tatsächlich nicht mehr hier ist, bleibt das, was … Weiterlesen Du da.

Wo es beginnt.

Wo beginnt es? Wohl kaum mit der Atombombe. Wenn lächerliche und gefährliche Menschen mit dieser hantieren und argumentieren, liegt darin kein Anfang. In zerstörten Häusern und Massengräbern findet sich keine Wurzel, in blutverschmierten Kleidern und geschundenen Körpern wohnt kein Ursprung. Diese Dinge, die Dinge dieser Welt, sie sind zwar Anzeichen dafür, wo es hinführt. Doch … Weiterlesen Wo es beginnt.

Die Geister der Erschöpfung.

Der Spaziergang ist längst keiner mehr, ist zum Orientierungslauf geworden, was grundsätzlich kein Problem wäre, doch da ist keine Route eingezeichnet, und ein Ziel ist zwar festgelegt, seine Lage aber ebenso unbekannt wie die Entfernung bis zu jenem ominösen Punkt. Man läuft trotzdem. Im Kreis, in falsche Richtungen, in die Irre und dabei sich selbst … Weiterlesen Die Geister der Erschöpfung.

Imaginäre Schrauben.

Du suchst den imaginären Schraubendreher, um den kleinen Geländewagen zu reparieren, der in einen Unfall verwickelt war und nun kaputt ist und Schmerzen hat. Du drehst an imaginären Schrauben, stellst den umgekippten Wagen wieder auf die Räder, und tatsächlich, er fährt einwandfrei, alles ist wieder in Ordnung, und du bist zufrieden und glücklich und stolz, … Weiterlesen Imaginäre Schrauben.

Seinung.

Sie kostet nichts, obwohl sie wertvoll ist, und dennoch wollen sich viele Menschen keine leisten. Das ist natürlich verständlich. Es bereitet Mühe, eine zu gestalten, zahlreiche Aspekte sind zu beachten und gegeneinander abzuwägen. Wer schliesslich eine hat, spürt schnell den Gegenwind im Gesicht, dem es zu trotzen gilt, stösst auf Widerstände, die sich nur mit … Weiterlesen Seinung.

Das starke Geschlecht.

Sie ziehen Lastwagen, kippen Autos um und tragen Baumstämme die Treppe hoch. Sie sind «The World’s Strongest Men», die stärksten Männer der Welt. Und irgendwie sind sie ziemlich putzig anzusehen, auch wenn dies keineswegs die Resonanz ist, die sie mit ihrem seltsamen Verhalten auslösen möchten. Nein, sie wollen der Welt beweisen, wie stark sie sind. … Weiterlesen Das starke Geschlecht.

Liegen lassen.

Sie ist in der Luft und in uns drin, sie hält uns am Leben und das Leben in uns, sie ist überall und an unmöglichen Orten, sie ist alles und wir wären nichts ohne sie, doch wir, wir schicken sie durch die Hölle, in den Krieg, in endlose Schlachten, wir treten ihr in den Unterleib, … Weiterlesen Liegen lassen.

Krähen.

Womöglich ist es gefährlich, alles zu geben, denn irgendwann hat man nichts mehr, mit leeren Taschen und vollem Kopf steht man in einer Gegend, die man nicht mehr kennt, und sucht nach Bezugspunkten, die es nicht mehr gibt; man ist nackt, nur bedeckt mit einer Schicht aus Scham und Angst, die nicht zu schützen vermag; … Weiterlesen Krähen.