Sie ziehen Lastwagen, kippen Autos um und tragen Baumstämme die Treppe hoch. Sie sind «The World’s Strongest Men», die stärksten Männer der Welt. Und irgendwie sind sie ziemlich putzig anzusehen, auch wenn dies keineswegs die Resonanz ist, die sie mit ihrem seltsamen Verhalten auslösen möchten. Nein, sie wollen der Welt beweisen, wie stark sie sind. Doch selbst der testosteronhaltigste Vertreter der Spezies Mann, der auch einem Säbelzahntiger oder einem anrollenden Schützenpanzer furchtlos entgegentreten würde, hat Angst. Angst vor dem anderen Geschlecht. Zugeben würden sie dies natürlich nicht. Männer kennen keine Angst. Schon gar nicht vor Frauen.
Trotzdem bleibt die Tatsache, dass sehr viele Männer vor allem von selbstbewussten, intelligenten und gutaussehenden Frauen eingeschüchtert sind. Ihre Reaktion darauf zeigt sich kaum im ehrlichen Eingeständnis dieser Angst. Stattdessen meldet er sich nicht mehr bei ihr, ignoriert sie oder stempelt sie als Emanze ab.
Paradox ist: Wenn ein Mann seine Traumfrau beschreiben soll, kommt irgendwann nach Brüsten, Beinen, Lippen und erotischer Ausstrahlung oftmals auch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zur Sprache. Wenn sie jedoch selbiges an den Tag und gern auch an die Nacht legt, nimmt er schleunigst seine Beine oder besagten Emanzenstempel in die Hand.
Frau fragt sich nun, wie sie sich geben soll, um sich zumindest für einen gemeinsam verbrachten Lebensabschnitt oder gar für eine dauerhafte Beziehung zu empfehlen. Ein deutlich zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein wäre zwar authentisch, aber eben kontraproduktiv, denn die Gynäkophobie – und ja, es gibt einen Fachbegriff für die Angst vor Frauen – des Mannes würde ihn in die Flucht treiben. Hingegen wäre eine Inszenierung als hübsches, aber charakterloses Dummchen wenigstens kurzfristig erfolgsversprechender, jedoch eine Verleugnung der eigenen Persönlichkeit und zudem eine subjektive Bankrotterklärung für alle Errungenschaften des Feminismus.
Experten (wie auch immer man zu einer Fachperson in solchen Fragen wird) empfehlen deshalb, eine Frau solle sich manchmal ein wenig schwächer und hilfloser geben, als sie es tatsächlich ist. So werde beim Mann der Beschützerinstinkt geweckt. Denn nicht alle Männer haben das Bedürfnis, einen Schulbus durch die Gegend zu ziehen, um ihre Stärke zu beweisen. Doch ein wenig Held möchten sie schon sein. Stellt sich nur die Frage, wie heldenhaft es ist, eine Frau nicht so akzeptieren zu können, wie sie ist.
Dieser Text erschien als Kolumne im L-Magazin, Ausgabe 4.
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