Man hatte den Kindern gesagt, sie könnten spielen, Verstecken und Fangen zum Beispiel, sie könnten Beeren sammeln im Wald, auch gemeinsam singen, und baden im nahen See. Der See sei tief und das Wasser kalt, hatte man ihnen gesagt, und manchmal würden in Ufernähe kleine Fische heranschwimmen und an den Beinen knabbern. Einige Kinder waren beim Gedanken daran, von Fischen angeknabbert zu werden, ein wenig zusammengezuckt, doch man hatte ihnen versichert, dass es nicht schmerzhaft sei, das Knabbern, es sei eher ein Kitzeln, es sei lustig. Die älteren Kinder hatten daraufhin gekichert, und danach hatten auch die ängstlichen Kinder keine Angst mehr gehabt.
Sie waren zum ersten Mal im Sommerlager, doch sie alle hatten gehört, dass es dort ganz anders sein würde als im Waisenhaus in der Stadt. Nach ihrem Eintreffen waren sie dennoch verblüfft und beinahe erschüttert, wie eminent anders es war. Es war nicht nur ein neuer Ort. Es war eine neue Welt, in welcher die Dinge wohl die gleichen Namen hatten, sich aber frappant vom Gewohnten und Erwarteten unterschieden. Da waren die Wälder und die Wiesen, da waren die seltsam ruhige Luft und dieser eigentümliche Geruch, da waren der See und das Schilf am Ufer. Und da waren die Fische. Einige schwammen heran, aber keiner knabberte, nicht ein einziger.
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Es waren Angehörige der Lagerleitenden, die sich bei der Polizei meldeten. Die Lagerleitenden und auch die Kinder hätten längst zurückkehren müssen, das Sommerlager war eigentlich seit mehreren Tagen zu Ende, doch am Tag der geplanten Heimkehr sei niemand aufgetaucht, man habe nichts gehört. Zunächst übten sich die Beamten in bestens einstudiertem Schulterzucken, doch als weitere Tage verstrichen, ohne dass sich etwas tat, taten sie etwas. Sie schickten einen Streifenwagen zum Lagerhaus, doch dort war kein Mensch anzutreffen, das Haus leer, die Betten säuberlich gemacht. Sowohl von den Lagerleitenden als auch von den Kindern fehlte jede Spur. Nur im See schwammen die Fische ans Ufer, doch niemand schenkte ihnen Beachtung.
Man gab Vermisstmeldungen heraus, ein neugieriger Lokalreporter schrieb einen Artikel, doch mehr geschah nicht. Irgendwann meldete sich ein Arzt. Er habe die Kinder und Betreuungspersonen im Sommerlager besucht, weil eines der Kinder über starke Halsschmerzen geklagt hatte. Er habe dem Kind ein wenig Medizin gegeben und Bettruhe verordnet, und vor seiner Abreise habe er noch ein Foto von allen Teilnehmenden gemacht. Das Bild zeigte 31 Kinder und fünf Lagerleitende, daneben das Lagerhaus, dahinter den See. Die Fische waren auf dem Foto nicht zu sehen.

Boah, gruselig 😱
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Trotzdem vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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Jetzt hängen wir ganz schön in der Luft. Werden wir abgeholt, ober müssen wir uns selbst bemühen?
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Eine Auflösung kann ich jedenfalls nicht anbieten. Sorry. Aber vielen Dank fürs Lesen!
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Gerne, da bemühe ich mich mit meiner Phantasi.
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Diese Mühe lohnt sich immer.
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