Der Hund ist nicht das Problem. Ja, der Hund ist irritierend, zumindest ist das, was er tut, ziemlich irritierend. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem, aber dennoch sei die Frage erlaubt: Warum machen Hunde das? Verwechseln sie menschliche Beine tatsächlich mit Artgenossen? Haben sie irgendwann einmal gehört, dass der Hund der beste Freund des Menschen sei, und sind der irrigen Ansicht, dass beste Freunde sich auf diese Weise ihrer Zuneigung versichern? Gibt es keinen Leithund, kein pelziges Vorbild, das seine hündisch ergebene Gefolgschaft dahingehend instruiert, sich nicht an menschlichen Gliedmaßen zu vergehen? Dieses Verhalten, es ist problematisch. Das Verhalten dieses einen Hundes, es ist besonders problematisch. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem, auch wenn sein Gebaren sie durchaus peinlich berührt und sie einen beträchtlichen Geldbetrag bezahlen würde, wenn sich damit das Tun des Hundes augenblicklich beenden ließe. Sie schaut sich um, denn so unangenehm es ist, aufgrund des Verhaltens eines Hundes peinlich berührt zu sein, so ungleich unerträglicher ist es, wenn man dabei gesehen oder sogar beobachtet wird. Doch sie sieht niemanden. All die Menschen, die sich anlässlich einer Art von Vernissage in diesem riesigen Haus mit integriertem Atelier eingefunden haben, halten sich in all den unzähligen Räume des Gebäudes auf, doch keiner davon in diesem kleinen Zimmer im Erdgeschoss, da sind nur sie und dieser sich unziemlich benehmende Hund. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem. Ja, er scheint mit ihrem Bein zu kopulieren, er reibt sich an ihr, er frottiert, während ihm die Zunge aus dem Maul hängt, und diese Situation ist mehr als unangenehm. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem, und obwohl er offensichtlich ein überaus großes Vertrauen in sie gefasst hat, ist er kein vertrauter Hund. Sie und der Hund kennen sich nicht, sie sieht ihn hier und heute zum ersten Mal. Sie hat eine Vermutung, wem er gehört, nämlich einem Mann, von dem sie zumindest den Vornamen zu kennen glaubt, denn sie hat gehört, wie er von anderen Menschen Felix gerufen wurde. Der Hund gehört also vermutlich Felix, doch Felix ist gerade nicht da. Das stört sie nicht, denn sie mag Felix nicht besonders. Felix hat eine unangenehme Art, die sie irgendwo zwischen Arroganz und Dümmlichkeit verorten würde. Sie vermisst diese Art nicht, vermisst den arroganten und dümmlichen Felix nicht, und sie ist keineswegs traurig darüber, dass Felix gerade nicht anwesend ist, obwohl er, wenn er anwesend wäre, den Hund wahrscheinlich zurückpfeifen würde. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass dieser Hund seit langer Zeit, seit wirklich sehr langer Zeit das einzige Lebewesen ist, das ihr eine Art von körperlicher Hingabe oder Zuneigung schenkt. Sie lacht, als ihr dieser Gedanke in und durch den Kopf schießt, doch da ist nichts Lustiges in ihrem Lachen, nur Bitterkeit, und sie denkt daran, dass man vom Lachen auch das Lächerliche ableitet, und so schön, wie das Lachen als Gefühlsregung ist, so unangenehm ist das Gefühl der Lächerlichkeit. Sie fragt sich, wer über solche Begriffsentwicklungen und Wortverwandtschaften entschieden hat, und warum. Das Lachen, es bleibt jedenfalls in ihrem Hals stecken, als sie den Hund betrachtet. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem, dennoch möchte sie sein Tun gerne unterbinden. Sie schüttelt ihr Bein, zunächst nur sehr vorsichtig. Der Hund sieht darin keine Veranlassung, von ihr abzulassen, im Gegenteil; er scheint sich nur noch energischer festzuklammern. Sie schüttelt das Bein etwas heftiger und versucht, das Tier mit der Hand wegzuschieben, doch der Hund lässt sich davon nicht beirren. Also steht sie auf und beginnt, auf den Boden zu trampeln, sie versucht, den Hund mit zuckenden Bewegungen abzuschütteln, und lässt ein gutturales Knurren ertönen, aber noch immer gelingt es ihr nicht, sich von dem liebeshungrigen Köter zu befreien. Schließlich verharrt sie einige Sekunden lang, atmet tief durch, lässt den Kopf kurz nach hinten kippen. Dann setzt sie zum formidabelsten Kick an, den ein menschlicher Körper überhaupt zu bewerkstelligen vermag, ein Kick, der jeden Fußballtorhüter vor Neid erblassen lassen würde. Gegen die ungeahnten Fliehkräfte, die sie dadurch entwickelt, kann der Hund nicht mehr viel ausrichten. Er verliert den Halt und fliegt durch den Raum, direkt durch die halbgeöffnete Tür. Erst irgendwo im Nebenzimmer schlägt er auf den Boden auf, begleitet von einem jaulenden Wehklagen. Sie hört, wie sich einige Menschen, offenbar vom Gewinsel angelockt, mit sorgenvollem Geplapper um den Hund kümmern. Doch der Hund ist nicht das Problem.
Der Hund ist nicht das Problem, jetzt sowieso nicht mehr. Eigentlich sollte sie froh sein, dass der Hund nicht mehr an ihrem Bein hängt, doch Freude und Erleichterung wollen sich nicht einstellen. Sie sitzt allein in diesem kleinen Zimmer im Erdgeschoss, während sich in den übrigen Räumen des riesigen Hauses unzählige Menschen aufhalten, von welchen sie einige kennt und eine Handvoll sogar mag, und trotzdem findet sie es bedauerlich, dass der Hund nicht mehr da ist. Sie fühlt sich schuldig wegen ihrer heftigen Reaktion und hofft, dass er den Flug unbeschadet überstanden hat. Mit der Anhänglichkeit hatte er es zweifellos übertrieben, doch zuvor fand sie seine Präsenz durchaus erfrischend. Jetzt fehlt er irgendwie, der Hund. Doch der Hund ist nicht das Problem.

Der Mensch ist das Problem, hätte der Besitzer des Hundes frühzeitig etwa getan, beziehungsweise der Tierarzt wäre es garnicht dazu gekommen, falls diese ganze Geschichte noch nicht erfunden ist
LikeLike
Jaha, das Problem geht in den allermeisten Fällen auf zwei Beinen… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
LikeGefällt 1 Person
Wie so oft saugt mich Deine geschilderte Situation ein, habe sie sogar schon erlebt. Ein Zwergschnauzer wars, der vor Testosteron beinahe explodierte. Und ich kenne diese Gesanken; warum muss jetzt mir das passieren?
Auf mein energisches Lass das! reagierte das Tier mit gesteigerter Vehemenz. Ich befürchtete schon Schürfwunden, während dem Hund der Sabber lief. Nein, ich trat ihn nicht weg. Er war nur von Liebe zu meinem Bein übermannt. Alle guckten und ich grinste mit heißen roten Ohren wie ein Deichschaf bei Nordwind. Dann bückte ich mich und löste ihn und erklärte ihm, aus den Welpen würde leider nix. Seinen Hammerständer ignorierte ich so gut ich konnte. Ich meine fünfzehn! Herrjeh, ich war erst fünfzehn. Hannes, mach was! herrschte ich den Hundebesitzer an. Sofort! Hannes war leicht angetütert, befreite mich aber von dem liebeswütigen Zwergschnauzer.
Was wäre gewesen, wäre sie losgelaufen? In meinem Fall klammerte sich der Hund an meinem Bein fest wie ein Koala am Eukalyptus. Fröhlich rubbelnd.
Alte Erinnerungen.
Der Hund war nicht das Problem. Deine Geschichte ist inspirierend! Mein ergebener Lesedank und
Liebe Grüße
Amélie
LikeGefällt 1 Person
Ein ausserordentliches Bild, wie du dich mit brennend roten Ohren den Liebesbekundungen eines Zwergschnauzers erwehrst. Ich hoffe, das Erlebnis war nicht allzu traumatisch. Vielen lieben Dank dir fürs Teilen der unkonventionellen Kopulation und fürs Lesen!
Herzliche Grüsse zurück
LikeGefällt 1 Person
Nein, das war gar nicht traumatisch. Ich mag Hunde sehr. Die mich meistens auch. Er ging nur etwas weit…🙈
LikeGefällt 1 Person
Zum Glück war ja der angetüterte Hannes da.
LikeGefällt 1 Person
Genau. Denn – der Hund war nicht das Problem. Genauso wenig wie der Hund in Deiner Geschichte das Problem war…;-)
LikeLike
Die Hunde sind in den seltensten Fällen das Problem…
LikeGefällt 1 Person
Bin da ganz bei Dir…
LikeLike
Ich war etwas irritiert vom plötzlichen „sie“ im ersten Satz des dritten Absatzes. Spricht der Text da jetzt den Leser an (vielleicht wurde die Großschreibung unabsichtlich unterschlagen?), oder von wem soll da auf einmal die Rede sein? Die ersten beiden Absätze hatten für mich eine allgemein-abstraktere Erzählsituation vorgestellt, weshalb ich diesen personalen Umschwung als recht unvermittelt empfand.
Ansonsten wirkt die formale Klammerung aller Absätze mit derselben Anfangs- und Endphrase doch etwas aufgesetzt auf mich, leider. Ich bin nicht sicher, ob der Text dadurch wirklich gewinnt, zumal der Inhalt dazwischen längst nicht die Strenge dieser zyklischen Form aufweist.
Ein ziemlich problemorientierter Kommentar heute, ich weiß, aber manchmal lassen sich Probleme eben nicht dadurch beseitigen, daß man sie nicht (mehr) als Problem bezeichnet …
LikeLike
Problemorientierte Kommentare sind kein Problem, und ich nehme diesen gerne an… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
LikeGefällt 1 Person
Na dann bin ich ja beruhigt, daß das Problematisieren von Problemen nicht das Problem ist. Und ansonsten gibt es ja noch genügend andere Problem-Probleme, nicht wahr?
LikeLike
Absolut, ja.
LikeGefällt 1 Person