Ihr Problem ist, dass sie im Winter immer den warmen Sommer herbeisehnt und im Sommer stets die Kühle und Frische und Stille des Winters vermisst. Ihr Problem ist, dass sie Herbst und Frühling nur als Übergangsstadien betrachtet, als Brachland zwischen den Zeiten.
Ihr Problem ist, dass sie dort, wo sie steht, meistens einen Schritt neben dem Ort steht, an dem sie eigentlich stehen will. Ihr Problem ist, dass jedes Mal, wenn sie einen Schritt in die Richtung jenes Ortes macht, an dem sie eigentlich stehen will, sich der Ort ebenfalls verschiebt und wieder von ihr abrückt.
Ihr Problem ist, dass sie ihr Leben als intrinsisch motiviert definieren will, jedoch in Ratgebern und im Internet nach Hinweisen suchen muss, um dieser Haltung zumindest ansatzweise und versuchsweise gerecht zu werden. Ihr Problem ist, dass sie in erdrückender Regelmäßigkeit daran scheitert, tatsächlich nach dieser Devise zu leben.
Ihr Problem ist, dass ihr Vater über Probleme jeweils gesagt hatte, dass es gar keine Probleme gebe, ein Problem sei lediglich eine Lösung, die noch nicht gefunden worden sei. Ihr Problem ist, dass ihr Vater dies nie gesagt hatte, überhaupt hatte er nie viel gesagt, und wenn, dann nur Belangloses und Praktisches, Bemerkungen über leere Benzintanks und volle Abfallbehälter und den Neigungswinkel des Schiefen Turms von Pisa, knapp vier Grad übrigens.
Ihr Problem ist, dass sie sich bisweilen vor den Spiegel stellt und der Frau, die ihr gegenübersteht, in großer Dringlichkeit versichert, dass sie eine tolle Person sei, dass ihr die Welt beinahe unbegrenzte Möglichkeiten eröffne und dass sie alles erreichen könne, wenn sie nur wolle. Ihr Problem ist, dass die Frau, die ihr gegenübersteht, ihr offensichtlich keinen Glauben schenkt.
Ihr Problem ist, dass sie zu jung ist, um sich alt zu fühlen, aber zu alt, um sich jung zu fühlen. Ihr Problem ist, dass sie Anti-Falten-Creme auf ihre Haut aufträgt, obwohl sie weiß, dass Anti-Falten-Cremes nicht wirklich wirksam gegen Falten sind.
Ihr Problem ist, dass sie sich verändern will, dass sie sich neu erfinden will, dass sie mehr will als nur eine neue Haarfarbe. Ihr Problem ist, dass sie sich manchmal bereits mit neuer Haarfarbe nicht mehr erkennt.
Ihr Problem ist, dass die Träume, in denen sie stirbt, die besten Träume sind, die sie je hatte. Ihr Problem ist, dass die Sache mit den Träumen aus einem Song stammt und dass es nicht ihre Träume sind.
Ihr Problem ist, dass sie sich hin und wieder fragt, was denn eigentlich das Problem sei. Das Problem ist, dass sie viel zu viele Antworten kennt, aber keine dieser Antworten wirklich stimmt und keine dieser Antworten etwas an ihrem Problem ändert.

Der Neurotizismus der Wohlstandskinder (und wohl auch ihrer Kindeskinder, sofern sie das Problem des Kinderkriegens denn irgendwie bewältigen konnten): wer keine Probleme hat, schafft sich selber welche!
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Darin – im Probleme-Schaffen-wo-keine-sind – sind ziemlich viele ziemlich talentiert, denke ich. Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Ihr Problem ist, dass sie glaubt, erst eine tolle Person werden zu müssen. Sie betrachtet sich durch die Augen der anderen. Und vermutlich wusste ihr Vater allerlei Alltagsgedöns, auch wichtig zum Überleben – aber hat er ihr je gesagt, dass er die tollste beste Tochter der Welt hat? Nach einer vermurksten Zensur oder nach einer Niederlage?
Ich glaube nicht.
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Hat er vielleicht nur gedacht, wer weiss… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen, für deine Betrachtungen und deine Worte! Herzliche Grüsse…
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Dem kann ich nicht wirklich zustimmen. Ist nicht vielmehr das Problem, daß – frei nach Judith Warner („The Why-Worry Generation“) – eine ganze (oder mittlerweile vielleicht sogar mehr als nur eine solche) Generation von ihren Eltern ständig erzählt bekam, wie großartig sie sei, von ihren Lehrern mit unverdienten Bestnoten bedacht und von Sportveranstaltern mit Preisen und Urkunden fürs bloße Erscheinen beschenkt wurde?
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Hallo Auden,
Mein Kommentar war nicht als allgemeine Aussage formuliert, sondern textbezogen. Wir sind in unseren Ansichten weniger weit auseinander als vielleicht gedacht.
Grüße
Amélie
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Hallo Amélie,
vielen Dank für diese klärende Anwort!
Güße ebenfalls
AJ
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Eine messerscharfe Analyse moderner Befindlichkeiten. Kompliment!
Und ein schönes Wochenende!
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte! Wünsche dir ebenfalls ein schönes Wochenende…
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„Ihr Problem ist, dass sie zu jung ist, um sich alt zu fühlen, aber zu alt, um sich jung zu fühlen.“ – Das Problem habe ich zum Glück hinter mir gelassen 🙂 😉
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Hauptsache, man fühlt sich. Im besten Fall gut.
Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Alle Probleme dieser Welt zusammengefasst so zu sagen
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Gibt womöglich sogar noch zweidrei weitere 😉
Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Gerne lieber Disputnik
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