Lach doch mal, hat er gesagt. Komm schon, hat er gesagt. Schau doch nicht so grimmig, hat er gesagt. Sie hat nichts gesagt, sondern nur eine Stelle auf dem Parkettboden gemustert, die drei Astlöcher, die sich zueinander fügen und an ein Gesicht erinnern, das Gesicht eines erstaunten Gespenstes vielleicht.
Nicht traurig sein, hat er gesagt. Es wird ja schon nicht so schlimm sein, hat er gesagt. Kopf hoch, hat er gesagt. Sie hat ihn ein wenig bewegt, den Kopf, doch er war so schwer, also hat sie ihn wieder sinken lassen.
Man muss immer an das Gute glauben, hat er gesagt. Morgen beginnt ein neuer Tag, hat er gesagt. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, hat er gesagt. Sie hat überlegt, dass es heute eigentlich keine Schmiedinnen und Schmiede mehr gibt und dass man sie nun Metallbauerinnen und Metallbauer nennt und dass es seltsam klingt, wenn man sagt, dass jeder seines eigenen Glückes Metallbauer ist. Bei diesem Gedanken hat sie kurz gelächelt, doch er hat es nicht bemerkt.
Don’t worry, hat er gesagt. Be happy, hat er gesagt. Take it easy, hat er gesagt. Will you please be quiet, please? hat sie erwidert, stumm und still, ganz für sich, hat dabei an das gleichnamige Buch von Raymond Carver gedacht und dann an Bilder von Edward Hopper und daran, dass sie noch nie in Amerika gewesen ist, wie sie an so vielen Orten noch nie gewesen ist. Sie hat sich gefragt, ob es wichtig ist, überall gewesen zu sein, ob es zufrieden macht und bereichernd ist. Sie hat sich gefragt, warum die Stimmungen, die Carver und Hopper zu erzeugen vermochten, ihr näher sind als die meisten Stimmungen, die in ihrem unmittelbaren Umfeld zumeist herrschen. Sie hat sich gefragt, warum manche Menschen das Bedürfnis haben, englischsprachige Ausdrücke in deutschsprachige Wortgebilde einzubetten. Who cares? hat sie geantwortet, mit einem Zucken in den Schultern.
Du musst doch das Positive sehen, hat er gesagt. Du musst doch nach vorne schauen, hat er gesagt. Du musst die Vergangenheit hinter dir lassen, hat er gesagt. Sie hat den Nachhall dieses Du musst in ihrem Kopf gehört und an die Worte ihres Vaters gedacht, der einst gesagt hatte, dass man gar nichts muss im Leben, nichts ausser Sterben, ja, nur Sterben muss man, und dann ist er gestorben, der Vater, schon vor Jahren, ist gestorben, weil er musste, aber wahrscheinlich auch, weil er wollte, es war Zeit.
Sei doch nicht so, hat er gesagt. Na los, hat er gesagt. Es wird alles gut, hat er gesagt. Da hat sie sich vor ihn hingestellt und ihm ihre Faust ins Gesicht geschlagen, mitten hinein in sein dummes Gesicht, zwischen seine dummen Augen, voll auf seine dumme Nase. Was sagst du jetzt? hat sie gefragt. Er hat nichts gesagt, nur dumm und stumm vor sich hingeblutet.

Die losschlagende Wut einer Uneinsichtigen?
Ich finde es jedenfalls bemerkenswert, daß alle Vorkommentatoren die „Schuld“ (wenn man es so nennen wollte) so eindeutig bei „ihm“ sehen. Ich meine, ohne spitzfindig sein zu wollen, der Erzähler zitiert nirgends direkte Rede, weshalb also nicht unbedingt so sonnenklar ist, daß das, was „er“ angeblich gesagt hat, tatsächlich von „ihm“ gesagt worden ist. Vielleicht ist es nur vielmehr das, was „sie“ hören wollte bzw. bei ihr angekommen ist von dem, was „er“ gesagt hat?
Insofern eine gelungene Parabel auf die Gefahren der zwischenmenschlichen Kommunikation und des Mißverstandenwerdens!
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(…und womöglich ist «er» gar nicht nur eine einzige Person, sondern eher ein Konstrukt aus vielen, aber eben, nur womöglich…)
Und ja, in der zwischenmenschlichen Kommunikation lauern so manchen Fallstricke und Stolpersteine… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Ein hilfloser Mann der versucht mit dem von ihm Gelernten einen Menschen aus der Depression zu holen…. Zumindest versucht er es anstatt „sie“ nur ihren Gedanken zu überlassen… Das er gerade alles falsch macht ist ihm wohl nicht bewußt, da er es selber nicht anders gelernt hat…
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Manchmal ist wohl auch das Gutgemeinte nicht gut genug, ja… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Irgendwann wurde ihr seine Phrasendrescherei zu viel und sie wehrte sich mit all der Kraft, die ihr geblieben war…. Hatte sie vorher denn nicht die Kraft, sich gegen sein Wohlgemeintes mal zu wehren?
Lieber Gruß von Bruni
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Man erträgt wohl bisweilen vieles, bevor es unerträglich wird… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, und herzliche Grüsse zurück!
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Missglückte Kommunikation perfekt ins Wort gebracht. Toller Text!
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Da hat sie nach all seiner Phrasendrescherei zurück gedroschen.
Verständlich nach so viel unbedarfter Gutmeinerei.
Leave me alone zu fordern wäre vielleicht besser gewesen als please be quiet von jemandem zu wünschen, dessen innerköpfige Modi den Zustand „quiet“ gar nicht installiert haben. Solche Menschen können nur viel und laut. Und sie meinen grundsätzlich sehr gut. Die Faust in der Schnute setzt lediglich einen kurzfristigen Intervall. Langfristig empfehle ich daher den Austausch der lauten Person gegen eine, deren Lautleisemodus noch intakt ist. Was mit zunehmenden Jahren immer schwieriger wird. Wenn das Gegenüber noch auf ein freundliches: „stop talking rubbish now!“ reagiert, kann es zumindest noch hören. Wenn es dann noch Edward Hopper-Stimmungen liebt, ist das schon die Dreiviertel Miete.
Danke, lieber Disputnik, eine sehr feine Story.
Ich liebe übrigens deutsch-englische Kuschelsätze mit etwas Spanisch als Garnierung – aber auch nicht immer…:-)
Liebe Grüße von
Amélie
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Die Austauschempfehlung unterstütze ich sehr, doch nicht selten bilden die unbedarft Gutmeinenden einen vielstimmigen Chor, dessen Gesänge oftmals die kleinen feinen Zwischentöne überlagern… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für dein Kommentarkunstwerk, und herzliche Grüsse zurück!
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Er hätte sich ja mal erkundigen können, worum es geht statt Sprechblasen abzusondern.
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Hätte er, ja… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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