Sie schiebt ihren Daumen langsam über das raue Material. Unter ihrer Haut fühlt es sich an wie Schleifpapier, feines Schleifpapier, das man verwendet, um die Flächen und Kanten von Holz möglichst weich und sanft zu machen. Die Reibfläche ist noch unbenutzt, kein Strich stört das Bild, keine Spuren sind zu sehen oder zu spüren. Sie ist so rein, die Reibfläche, so perfekt, so unberührt, wie ein See, der still im Abendlicht liegt, die Oberfläche ein Spiegel, der den Himmel verdoppelt. Es kann nicht so bleiben. Mit dem ersten Entfachen eines Streichholzes raubt sie die Unschuld, macht die Vollkommenheit zunichte. Und mit jedem weiteren Entfachen eines Streichholzes verliert die Reibfläche an Kraft. Mit jeder Flamme, die sie entzündet, wird die Reibfläche abgenutzt, wird schwächer. Wahrscheinlich gibt es Reibflächen, an denen man unzählige Streichhölzer entzünden kann, robuste Reibflächen, widerstandsfähige Reibflächen. Doch das, was sie unter der Haut ihres Daumens spürt, ist keine solche Reibfläche. Sie kann hell machen, sie kann warm machen, doch je häufiger sie es tut, desto weniger bleibt von ihr übrig. Eigentlich könnte sie das Abnutzen verhindern. Sie könnte die Streichholzschachtel schonen oder gar verleugnen, könnte sie einfach irgendwo verstauen, aber dann wäre sie zur Sinnlosigkeit verdammt. Es wäre ein unnützes Dasein, ein ungelebtes Leben, wäre lediglich eine Behauptung, ein Verkümmern in einem abstrakten Bereich des Möglichen. Ein Existieren im Konjunktiv. Das will sie nicht. Also entfacht sie ein Streichholz, betrachtet das Aufflackern der Flamme und zündet sich eine Zigarette an. Sie lässt den Rauch entweichen und schaut zu, wie er sich langsam durch die Luft bewegt, sich ausdehnt und verteilt, bis er sich irgendwann auflöst und nicht mehr zu sehen ist. Sie dreht und wendet die Streichholzschachtel in ihren Fingern, tastet nach der Reibfläche, schiebt ihren Daumen langsam über das raue Material. Die Abnutzung spürt sie nicht. Noch nicht.
