Ganz egal, woran ich gerade denke, am Ende denk ich immer nur an dich, singt Sven Regener, und die Stimme von Sven Regener klingt wie ein trunkener Abend im schummrigen Licht in einer Kneipe, in der es nach Bier und Gelächter und faltigen Gesichtern und in die Handflächen gestützten Köpfen riecht. Sie war schon so lange nicht mehr in einer dieser Kneipen, und obwohl sie sich in ihnen nie vollends wohlgefühlt hat, fehlen sie ihr nun. Natürlich weiß sie, dass das, was Sven Regener behauptet, nicht ihr gilt, Sven Regener denkt nicht an sie, und eigentlich will sie auch gar nicht, dass Sven Regener an sie denkt, sie kennt Sven Regener nur aus seinen Songs und Büchern, das reicht nicht. Es wäre seltsam, wenn Sven Regener an sie denken würde. Dass Sven Regener nicht an sie denkt, ist ihr egal. Nicht egal ist ihr, dass vielleicht auch sonst niemand an sie denkt.
Sie sitzt auf ihrem Sofa und hält ihr Mobiltelefon in der Hand und schreibt einem Mann, den sie kaum kennt, eine Nachricht. Buchstabe um Buchstabe gibt sie ein, und kaum sind Wörter daraus entstanden, löscht sie diese wieder, weil sie wohl grammatikalisch richtig sind, aber dennoch falsch aussehen. Sie schickt die Nachricht nicht ab, wählt stattdessen einen anderen Namen aus ihrem Kontaktverzeichnis und beginnt abermals zu schreiben, löscht das Geschriebene aber erneut. Beim dritten Namen fängt sie mit dem Tippen gar nicht erst an.
Eigentlich könnte sie schlafen gehen, es ist schon lange viel zu spät, doch sie ist nicht müde, also bleibt sie auf dem Sofa sitzen. Später wird sie versuchen, sie selbst zu befriedigen, doch sie wird scheitern, davon ist sie überzeugt, denn sie braucht ein Gesicht in ihrem Kopf, einen Körper, doch da ist niemand, an den sie denken könnte, da wäre höchstens Sven Regener, doch sie mag sich nicht selbst befriedigen und dabei an Sven Regener denken. Vielleicht wird sie den Versuch auch bleiben lassen, denn sie hat gar keine Lust.
Schließlich öffnet sie die App, mit der sie Notizen festhalten kann. Meistens schreibt sie dort auf, was sie im Supermarkt einkaufen will, manchmal auch Dinge, die sie erledigen möchte. Die Zahlenkombination ihres Fahrradschlosses steht ebenfalls dort, obwohl es ihr vor einigen Monaten gestohlen worden ist, mitsamt des Fahrrades. Sie erstellt eine neue Notiz. Ganz egal, woran ich gerade denke, am Ende denk ich immer nur an dich, schreibt sie. Sie weiß nicht, an wen sie diesen Satz adressieren könnte. Aber für den Fall, dass sich irgendwann jemand findet, dem sie diese Nachricht schicken könnte, ist es gut, dass die Worte da sind.
Sven Regener stimmt das nächste Lied an, es gilt einer gewissen Deborah Müller. Der liebe Gott liebt dich, und wenn nicht, dann bin ich noch da, singt Sven Regener, und sie wünscht sich, eine gewisse Deborah Müller zu sein. Nicht wegen Sven Regener, sondern wegen dem Gefühl. Doch sie ist keine gewisse Deborah Müller.
