Sie stellt sich vor, wie ein Fischreiher über ihren Kopf fliegt, und der Vogel schlägt so langsam mit seinen langen Flügeln, dass sie kaum glauben kann, dass er sich mit dieser Frequenz überhaupt in der Luft halten kann, er müsste doch abstürzen, es kann gar nicht sein, dass diese trägen Bewegungen ausreichen, um fliegen zu können, doch der Fischreiher fliegt, ganz ruhig, fliegt immer weiter weg von ihr, und noch bevor er endgültig aus ihrem Blickfeld verschwinden könnte, hört sie auf damit, sich den Fischreiher vorzustellen, sie kehrt zurück in diese viel zu moderne Wohnung, die nicht ihre Wohnung ist, es ist die Wohnung eines Freundes, der wohl gar kein Freund ist, nur ein Mensch, den sie kennt, und dieser Mensch ist soeben in die Küche gegangen, um einen Tee für sie zuzubereiten, sie hat gar keine große Lust auf Tee, doch sie ist froh, dass er dadurch etwas zu tun hat, denn es erlaubt ihr, einige Augenblicke lang allein zu sein, ohne ihn, ohne irgendeinen Menschen, ganz für sich, denn in Gesellschaft hätte sie wohl kaum an den Fischreiher denken können, und auch das nächste Bild, das vor ihrem inneren Auge auftaucht, wäre nicht möglich gewesen, es ist das Bild eines großen Feldes, brachliegend und leer, der Horizont ist in einem dichten Nebel verborgen, und alles, was man von der Welt sieht, ist der Boden, und sie fragt sich, was es bedeutet, dass sie sich diesen Ort vorstellt, dieses Landschaft gewordene Nichts, diese beinahe farblose Leere, es könnte durchaus sein, dass die Wohnung, in welcher sie sich gerade befindet, eine Rolle spielt, denn sie ist zwar modern und offensichtlich kostspielig, aber kalt und leer und öde, völlig frei von Persönlichkeit, und vielleicht ist auch der Mann, dem sie gehört, völlig frei von Persönlichkeit, womöglich ist er gerade darum kein richtiger Freund, sondern nur ein Mensch, den sie kennt, obwohl sie ihn eigentlich nicht wirklich kennt, sie weiß lediglich, wie er heißt und wo er wohnt und dass er einen Audi fährt und eine Schwester hat, die Kunstturnerin ist, und das ist nicht viel, das ist lange nicht genug, um jemanden einen Freund zu nennen, und während sie für sich selbst klarstellt, dass dieser Mensch kein Freund ist, hinterfragt sie auch ihren Aufenthalt hier, sie sollte eigentlich nicht hier sein, in dieser unpersönlichen Wohnung dieser unpersönlichen Person, und während sie mit dem Gedanken spielt, die Wohnung umgehend zu verlassen, hört sie das Klappern einer Tasse aus der Küche und erinnert sich an den Tee, den der Nichtfreund gerade für sie zubereitet, und sie beschließt, ihn noch zu trinken und dann zu gehen, und sie hofft nur, dass der Tee nicht zu heiß ist, damit sie die Tasse möglichst schnell leeren und verschwinden kann, und eigentlich könnte sie jetzt in Panik ausbrechen, könnte sich gefährdet und bedrängt fühlen, doch sie vertraut darauf, dass sie auch mit trägen Bewegungen verschwinden kann, wie der Fischreiher, an den sie zuvor gedacht hat, also bleibt sie sitzen, auf einer Mischung aus Sofa und Raumteiler, wartet darauf, dass der Mann, der sich in seiner kurzzeitigen Abwesenheit von einem möglichen Freund zu einem unpersönlichen Etwas entwickelt hat, ihr den Tee bringt, und draußen auf dem großen brachliegenden Feld hängt der Nebel über dem Boden und wartet seinerseits darauf, dass sie in ihm verschwindet, mit langsam schlagenden Flügeln vielleicht, obwohl sie gar nicht fliegen kann.
