Sie schüttelt die Bäume, bis die Früchte zu Boden fallen, und merkt erst dann, dass die Äpfel noch nicht reif sind, in den Birnen hocken die Würmer, und Kirschen essen ist mit ihr sowieso nicht gut, das ist ihr wichtig, darauf legt sie Wert, also lässt sie alle Früchte liegen und geht weiter, über Stock und Stein, wie man so sagt, obwohl sie nicht weiß, warum man so sagt, vor allem weiß sie nicht, was es mit dem Stock auf sich hat, also fragt sie einen sehr alten Mann, der am Wegesrand steht, denn er kennt sich wahrscheinlich mit Stöcken aus, schließlich stützt er sich gerade auf einen, und sowieso wissen sehr alte Männer am Wegesrand häufig mehr, als man denkt, und der sehr alte Mann behauptet, dass es sich beim Stock in jener Redensart um Wurzelstöcke von gerodeten Bäumen handelte, und sie weiß nicht, ob das stimmt, aber sie glaubt dem sehr alten Mann, denn sehr alten Männern, die am Wegesrand stehen, sollte man glauben dürfen, warum sollten sie denn in ihrem hohen Alter noch lügen müssen, doch vielleicht irrt sie sich auch, sie irrt sich häufig, vor allem, wenn es um Männer geht, und sie geht weiter, über Stock und Stein, sie sieht eine Frau, die von weitem wie ihre Mutter aussieht, und sie winkt, wild gestikulierend und mit einer überschäumenden Hektik in jeder Bewegung, doch als sie näherkommt, muss sie erkennen, dass die Frau nicht ihre Mutter ist, warum hatte sie auch gedacht, dass es so sein könnte, denn es kann ja nicht sein, schon seit Jahren kann es nicht mehr sein, und natürlich hatte sie es nicht vergessen, aber vielleicht hatte sie es verdrängt, hatte es ausgesperrt, damit sie nicht damit hantieren musste, mit den Tränen und den Löchern und den fehlenden Antworten, und womöglich war das nicht gut, womöglich hängen deshalb Dinge schief in ihrem Kopf, sie weiß es nicht, doch sie will es auch nicht wissen, nicht im Moment, vielleicht irgendwann, aber nicht jetzt, denn jetzt muss sie weitergehen, über Stock und Stein, immer weiter, und unterwegs springt sie irgendeinem Typen auf den Rücken, sie kennt ihn kaum, er riecht nach Bier und Zigaretten, sie rammt ihm einen Dolch ins Herz, mit voller Wucht und einem spitzen Schrei auf den Lippen, doch der Typ, er torkelt nur ein wenig, grinst dümmlich und zündet sich dann eine weitere Zigarette an; so hat sie sich das nicht vorgestellt, so will sie das nicht, und sie geht einige Meter rückwärts, damit sie sicher sein kann, dass der Typ sie nicht verfolgt, doch er macht keine Anstalten, sie zu verfolgen, er raucht und rülpst nur, und als sie die Augen schließt und wieder öffnet, ist er verschwunden, ist einfach nicht mehr da, wie vom Erdboden verschluckt, und sie fragt sich, wo die Männer hinkommen, die vom Erdboden verschluckt werden, und sie hofft, dass sie dann nicht unter die Erde kommen, denn unter die Erde ist auch ihre Mutter gekommen, und sie will nicht, dass ihre Mutter diesen Männern begegnet, und sie denkt an die Äpfel, die ja nicht weit vom Stamm fallen, die Äpfel, die sie unreif vom Baum geschüttelt hat, und vielleicht ist auch sie selbst noch unreif, ist zu früh vom Baum gefallen, doch selbst wenn es so wäre, sie könnte nicht mehr zurück, ihre Zeitmaschine bewegt sich nur vorwärts, also geht sie weiter, immer weiter, über Stock und Stein, bis sie am Ende der Welt ankommt, zumindest am Ende des Bodens unter den Füssen, und weil sie nicht mehr weiterkommt, legt sie sich hin, in den Sand vor dem weiten Wasser, sie lauscht dem Rauschen der Wellen und schließt die Augen, denkt sich weg, denkt sich zurück an den Anfang, sie schüttelt die Bäume, bis die Früchte zu Boden fallen, und merkt erst dann, dass die Äpfel noch nicht reif sind, in den Birnen hocken die Würmer, und Kirschen essen ist mit ihr sowieso nicht gut, das ist ihr wichtig.
