Sie haben sich lange nicht mehr gesehen, schon seit Jahren, doch als sie sich treffen, sind diese Jahre weggeweht, wie Staub, den man von einer alten Schallplatte pustet, und als ihre Stimme erklingt, setzt sein Herz einen Takt lang aus, und als er ihr Hallo erwidert, registriert sie eine leichte Schwingung in ihrem Innern, und er sagt, dass sie noch bezaubernder aussehe als damals, obschon er findet, dass die Zeit durchaus Spuren hinterlassen hat, und sie lächelt und retourniert das Kompliment, du hast dich kaum verändert, sagt sie, obwohl sie denkt, dass er alt geworden ist, aber dennoch ist da diese Vertrautheit, dieses unbewusste Einfügen in einen gemeinsamen Raum, zu dem nur sie beide einen Schlüssel haben, und sie sehen sich um in diesem Raum, sehen sich um in der Zeit, der kurzen gemeinsamen und der langen getrennt verbrachten, und vor allem sehen sie sich an, blicken sich gegenseitig in die Augen und erkennen wohl beide, dass Abwesenheit nicht Vergessenheit bedeutet und dass man nicht verschwindet aus dem Leben des anderen, nur weil man nicht mehr da ist, und obwohl sie nicht weiß, dass er es weiß, und er nicht weiß, dass sie es weiß, wissen sie beide, dass jetzt wohl der bestmögliche Zeitpunkt für ein Wiedersehen ist, denn sie sind beide allein, nicht nur allein, sondern durchaus auch einsam, der Blick nach vorne ist immer öfter ein unsicherer und ängstlicher, und das Wiedersehen, dieses zufällige Aufeinandertreffen in diesem Moment, es könnte eine Zäsur sein, ein Umlenken der Geschichte, und während sie miteinander reden, blühen sie auf, jeder für sich und beide gemeinsam, und irgendwann fragt er, ob sie Lust habe, mit ihm eine Tasse Wein oder ein Glas Kaffee zu trinken, und sie ist gar nicht sicher, ob er die Trinkgefäße absichtlich verwechselt oder lediglich nervös ist, doch so oder so würde die Antwort Ja lauten, also sagt sie Ja, und er wiederholt ihr Ja, und sie verabreden sich für den Abend, und was auch immer sie sich von ihm versprechen, löst der Abend ein, und jetzt liegen sie da, im Bett in ihrer Wohnung, liegen zu dritt nebeneinander, sie und er und der Elefant in der Mitte, der Elefant, er türmt sich auf zwischen ihnen, wie eine Mauer, grau und starr und stumm, der Elefant, er ist nicht neu, er war schon damals da, hat sich schon damals zwischen sie gedrängt und war der Grund dafür, dass sie sich voneinander entfernten und schließlich den Halt verloren, der Elefant, er war einfach aufgetaucht, war zunächst noch klein und lediglich irritierend, doch er wurde allzu rasch groß und war irgendwann grösser als das, was sie gemeinsam hatten und darstellten, und seither haben sie ihn beide wohl verdrängt, haben versucht, ihn zu vergessen, doch der Elefant hat sie nicht vergessen, und nun ist er wieder da, mit seiner dicken Haut und seinem schwerfälligen Körper, mit seinem Rüssel, der ein wenig unbeholfen und dümmlich aus dem Gesicht ragt, und seit ihrem Wiedersehen vor einigen Stunden haben sie sich unbewusst bemüht, den Elefanten zu ignorieren, ihn außen vor zu lassen, haben versucht, sich vor ihm zu verstecken, in einem Moment ohne Vergangenheit und im Bett in ihrer Wohnung, doch sie haben ihm nicht entrinnen können, und nun liegen sie zu dritt nebeneinander, sie und er und der Elefant in der Mitte.

Schöner Text.
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Vielen Dank!
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Manchmal bleibt da etwas in der Mitte und löst sich, trotz der Jahre, nicht auf.
Es scheint unüberwindbar, dadurch wird es nie zu einem wir werden.
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Ja, manche Elefanten vergessen eben nie… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
Herzliche Grüsse
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