Schon am Morgen, sofern er diesen verheissungsvollen Namen überhaupt verdiente, war sie nach einer nahezu schlaflosen Nacht viel zu früh erwacht. Draussen vor dem Fenster schlief die ganze Welt, jedes Haus war dunkel, nur beim alten Bäcker brannte Licht, denn obwohl er nicht mehr backen mag, steht er mitten in der Nacht auf, stellt sich in die Küche und starrt auf den Backofen. Ich will doch einfach schlafen, dachte sie, als sie hinüber in die Wohnung des Bäckers blickte und seine gebückte Haltung betrachtete. Sie trank einen Kaffee und erledigte, was am Abend zuvor unerledigt geblieben war. Als sie ins Wohnzimmer trat, stolperte sie über das Kabel des Staubsaugers und fiel hin, stiess sich den Kopf an unermesslich hässlichen Couchtisch und verfluchte die Person, die den Staubsauger hatte stehenlassen, wohl wissend, dass niemand anders als sie selbst es hätte gewesen sein können. Ich will doch einfach schlafen, murmelte sie, während sie sich aufrappelte und ihren Kopf nach Blut abtastete.
Als die Kinder erwachten, begannen sie umgehend zu reden, unermüdlich und viel zu laut und viel zu viel. Dann begannen sie zu streiten, unermüdlich und viel zu laut und viel zu heftig. Beim Frühstück zappelte der Sohn so ausladend und exzessiv, dass er sein Milchglas zu Boden schleuderte. Schliesslich gingen sie zur Schule und liessen das Echo ihrer lauten und unermüdlichen Stimmen in den Räumen hängen. Ihr Ehemann schenkte ihr ein Lächeln, es sollte wohl aufmunternd sein, doch diese Wirkung verfehlte es meilenweit. Ich will doch einfach schlafen, grummelte sie, während sie die vergossene Milch aufwischte und Scherben zusammenfegte.
Unter der Dusche legte sie ihre Stirn an die geflieste Wand, liess sich das warme Wasser über den Rücken laufen und hielt inne, stand einfach da, eine Minute lang, vielleicht sogar zwei. Sie wusste genau, dass der Tag keine weiteren Momente bereithalten würde, in denen sie die Zeit einfach an sich herabrinnen lassen konnte. Ich will doch einfach schlafen, sagte sie laut. Dann stellte sie das Wasser ab, stieg aus der Duschwanne, stellte sich vor den Spiegel und musterte die Haut unter den Augen.
In der Folge schnellten die Stunden an ihr vorüber wie die Landschaft beim Zugfahren. Hier, das Aufräumen der Küche. Da, ein Kirchturm. Hier, die zermürbende Arbeit im Büro. Da, ein paar Bäume. Hier, die Hektik, damit sie pünktlich zu Hause ist. Da, eine Jesusstatue. Hier, das Kochen, das Putzen, das Organisieren der Abläufe. Da, eine Plakatwand. Hier, die gewohnten Bilder, überall. Am Abend spürte sie ihren Körper nur noch rudimentär, und als sie einen Moment lang unvorsichtig war und in einen Türrahmen prallte, konnte sie das entstehende Gefühl gar nicht richtig zuordnen. Ich will doch einfach schlafen, zischte sie und funkelte den Türrahmen an, als ob alles seine Schuld wäre.
Und jetzt, am Ende des Tages liegt sie im Bett, neben ihr der massige Leib Ihres Ehemanns, ein träger Bär, friedlich schnarchend. Die Müdigkeit lähmt ihre Glieder, aber dennoch liegt sie wach, blinzelt in die Dunkelheit. Immer wieder bleibt ihr Blick an den roten Ziffern des Weckers hängen, und jedes Mal macht die Uhrzeit sie wütender. Ich will doch einfach schlafen, flüstert sie, und ihr Mann neben ihr grummelt etwas, gerade so, als würde er etwas erwidern, doch es sind keine Worte, die seinem Mund entweichen, es ist lediglich das Grunzen eines Mannes, der schlafen kann, und am liebsten würde sie ihm ihre flache Hand ins Gesicht dreschen oder ihn aus dem Bett schieben, doch stattdessen bleibt sie ruhig liegen und starrt weiterhin in den dunklen Raum.
Schliesslich steht sie auf. Draussen vor dem Fenster schläft die ganze Welt, jedes Haus ist dunkel, nur beim alten Bäcker brennt Licht. Sie schaut hinüber und sieht ihm dabei zu, wie er in seiner Küche steht und auf seinen Backofen starrt. Und einen kurzen Moment lang ist sie einfach nur froh, dass er da ist.
Schlaflos ist nicht schön.
Aber ich denke solche Phasen hat jeder mal in seinem Leben.
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Da hast du wohl recht… Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Ein separates Schlafzimmer könnte ihr helfen …
Fein geschrieben lieber Disputnik!
Herzliche Grüße vom Finbar
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Das würde vielleicht ein wenig Linderung bringen, wer weiss…
Vielen lieben Dank dir und herzliche Grüsse zurück!
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Ich bin mir da fast sicher. Jedenfalls mehr als Ohropax *feix*
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Glaub nicht, dass ein separates Schlafzimmer hülfe. Es wäre ein Symtomatisches Hilsmittel. Die Ursache der Schlaflosigkeit vermute ich eher in der nagenden Unzufriedenheit mit ihrem Leben und diese ließe sich wohl bekämpfen, doch ich fürchte, dass Schlaf kein probates Mittel wäre. Eher vielleicht ein Tanzkurs, eine beste Freundin oder am besten gleich ein Rosenkavalier für eine süße Nacht.
LG,
Amélie
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…oder vielleicht gemeinsam mit der besten Freundin zum Tanzkurs, und dann im Dreivierteltakt aus der ermüdenden Routine tanzen? Vielen Dank dir, liebe Amélie, fürs Lesen und für deine Worte, und herzliche Grüsse zurück…
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…wie und mit wem sie vom Negativ ins Positiv zurück schwingt, ist gleich. Sie kann ihren Karl-Heinz auch auf die Tanzpfoten stellen, der Appetit kommt dann beim Wischer im Wiener Schnitzel oder so. Und: Hauptsache Humor. So ein Schnorchel nebenan erfordert nachts literweise Nervenschmalz und die lüttchen-Blase zerrt schniefend, streitend und plärrend am Rockzippel. Das braucht unbedingt eine oder besser gleich mehrere beste Freundinnen. Am besten von Schnalzer bis Pogo. Das hilft durchhalten, ja.
Immer wieder so gern, Deine Erzählungen. Wirken schön zwischen Wandungen.LG, Amélie
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Jaha, Hauptsache Humor, Mama sagte, Lachen sei die beste Medizin, aber was, wenn das Lachen nicht mehr hilft? Vielleicht dann doch Pogo.
Deine Kommentare sind stets kleine Welten für sich. Das freut mich sehr. Vielen lieben Dank dir!
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Lachen ist wirklich die beste Medizin. Mamas wissen das. Leider haben sie manchmal noch nicht gelernt ihren Töchtern beizubringen, nach dem zu forschen was sie wirklich wollen und manche Mütter glauben sogar immer noch, dass eine Frau ohne Mann wie ein Fisch ohne Fahrrad sei. Dann medizinische Lachfachphrasen kloppen…puh…
Alter Psychologenwitz: Passen Sie bloß auf, wen Sie sich als Eltern aussuchen.
Danke für die „kleinen Welten“. Freu ich mich drüber.☺️
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Ich mich auch!
Lieben Dank nochmals!
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Schmunzel …
klar hast du recht 🙂
Aber die Wirkung eines separaten Schlafzimmers sollte mann/frau nicht unterschätzen!
LG
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Stell Dir vor, Dir hängt jede Nacht so eine schnarchender Frauenklump im Arm. Dir wird minütlich schwerer und sie schnarcht stündlich lauter. Du willst dich irgendwie gerne mal bewegen – und kannst nicht. Weil Dir nämlich die Romantik gerade die Lungenflügel und den Thorax zusammen drückt. Stunden wälzen sich schlaflos vorwärts….
Du Dich mit ihnen. Schlaflos verloren in Romantik, mit einem tonnenschweren Frauenkopf auf der Brust. Und wenn Dann noch so ein dringliches Bedürfnis ankommt, dann wird es aber richtig arg….
Lu- ich verstehe Dich vollkommen!😃
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Ich dich auch liebe Amélie 🙂
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…und ich mag eure Unterhaltung hier… Danke!
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…ich entschuldige mich, gestern etwas arg viel Wortplatz als Dein Bloggast beansprucht zu haben *shameonme* und wünsche Dir ein schönes Wochenende ☺️
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MIt deinen Worten darfst du gerne so viel Platz in Anspruch nehmen wie dir lieb ist!
Herzliche Grüsse und dir ebenfalls ein schönes Wochenende!
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…sich woanders so ausdehnen…sich irgendwo fremd so…breitmachen ist plump und unfein usw…das macht man nicht…, lernte ich…dennoch lieben Dank Dir. Es hat gut getan und es entspann sich etwas Lustiges in den Kommis und ist es nicht seltsam wie aus sogar einer eigentlich ziemlich traurigen Geschichte dann eine komische Kleinblüte wächst…? Jetzt ist mir Deine Schlafsuchfrau schon richtig ein wenig vertraut geworden. Mit der würde ich einfach gerne mal zusammen lachen üben…:-)
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Ich habe absichtlich bequeme Sessel in den Kommentarbereich gestellt. Da kann man sich drauf- und reinsetzen, kann an einem Weinglas nippen und sogar rauchen, wenn man will, und man kann sagen und schreiben, was man möchte. Und wenn dann Diskussionen sich entspinnen oder gar merkwürdige Pflanzen wachsen, macht das den Raum nur vielfältiger und reicher.
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Gerne 🙂
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