Sie wünscht sich einen Besen. Keinen normalen Besen. Keinen Rutenbesen, keinen Handbesen, keinen dieser Kunststoffbesen aus dem Baumarkt. Sie braucht auch keinen Hexenbesen; zwar würde sie das Fliegen lieben, doch ihre Höhenangst würde es wohl unerträglich machen. Der Besen, den sie sich wünscht, wäre der größte und stärkste Besen der Welt. Ein überdimensionaler Besen wäre das, ein gigantischer Besen, ein allmächtiger Besen. Und mit diesem Besen würde sie alles, was stört und schmerzt, zur Seite wischen, würde es von der Erde fegen, würde sauber machen. Sie stellt sich vor, wie sie die grimmig blickenden Terroristen zusammenkehrt und mit dem Besen in endlose Weiten schiebt. Gleiches macht sie mit den hohlen Glatzköpfen und ihren ausgestreckten Armen, mit den Vergewaltigern und den Kinderschändern. Immer mehr Menschen werden von ihrem Besen erfasst. Die Misogynen und Homophoben, die Rassisten und Neofaschisten, die Ignoranten und Wegseher. All die mittelalten Männer, die den Klimawandel als Quatsch abtun und Angst vor einem schwedischen Mädchen haben. All jene, die behaupten, man müsse Werk und Künstler trennen, und deshalb Menschen in Schutz nehmen, die schreckliche Dinge getan haben, nur weil sie eben auch Kunst oder Kunstähnliches geschaffen haben. Die feigen und hasserfüllten Kommentarschreiber im Internet. Die Angstmacher und Empathielosen. Mit der Zeit reicht es schon, wenn jemand nicht ihrer Meinung ist, um ihrem Besen zum Opfer zu fallen, und wer ihr unsympathisch ist, schwebt bereits in Gefahr. Sie fegt und sie wischt, doch das Fegen und Wischen, es ermüdet, und während sie sich von den Strapazen erholt, erblickt sie in einiger Distanz einen Mann. Auch er hält einen großen Besen in der Hand. Auch er fegt ganz offensichtlich hinfort, was ihn stört und schmerzt. Doch bei ihm sind es andere Dinge, andere Menschen, wahrscheinlich auch Menschen wie sie. Der Mann, er hält inne und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dann dreht er den Kopf in ihre Richtung. Ihre Blicke treffen sich, und sie spürt, wie ein leichtes Schwindelgefühl in ihre Glieder kriecht. Ihre Finger klammern sich um den Stiel ihres Besens. Der Mann und sie starren sich an, niemand wagt eine Bewegung. Sie stehen einfach da, mit ihren Besen in den Händen, zwischen ihnen die Distanz, die problematische, die unerbittliche Distanz, trennend und unüberwindbar, wie es scheint. Sie schluckt leer und denkt an einen Hexenbesen; die Höhenangst wäre vielleicht gar nicht so schlimm gewesen.

Wer weiß wer dich oder mich einfach wegwischen würde.
Wenn alle diese Macht hätten, gäbe es in kürzester Zeit keinen mehr. Alle von irgendwen weggewischt.
Die moderne Variante von: Wer frei von Schuld ist werfe den ersten Stein.
Sehr schön, Disputnik.
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Ja, zu viel Macht bekommt den Menschen nicht gut… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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