Er hockt draußen unter der Laterne und bellt in die entvölkerte Nacht. Sie steht am Fenster und schaut hinaus und stellt sich vor, wie seine Augen bedrohlich funkeln wie schwarzes Glas, wie seine spitzen Zähne wütend aus dem Maul ragen und der Sabber von seinem Kinn tropft. Sehen kann sie es nicht, der Hund ist zu weit von ihr entfernt oder ihr Sehvermögen ist zu schwach, vielleicht auch beides. Am Himmel hängt ein halber Mond, verschwindet bisweilen hinter Wolkenfetzen und taucht dann wieder auf, wie ein bleiches Kind hinter dem Rockzipfel der Mutter, und unten auf dem Asphalt bellt der Hund, doch der Mond kümmert ihn nicht. Sie könnte das Fenster aufreißen und hinausrufen, er solle verschwinden, doch sie weiß, dass es keinen Zweck hätte, dass es nichts verändern würde. Der Hund würde womöglich kurz mit dem Bellen aufhören, den Kopf ein wenig schräg legen und sie anstarren. Dann würde er grinsen, wie nur fiese Hunde grinsen können, und wieder weiterbellen wie zuvor. Irgendein Nachbar würde ebenfalls in die Nacht rufen; Ruhe! würde er brüllen, jedoch nicht wegen des Hundes, sondern wegen ihr. Die Nachbarn können den Hund nicht bellen hören, aber sobald sie in die Nacht ruft, heben sie ihre langen Zeigefinger und mahnen zur Ruhe und Sittsamkeit. Sie weiß das und sie will das nicht und lässt deshalb das Fenster geschlossen und schleudert lediglich ein zorniges Zischen gegen die Glasscheibe, obwohl ihr bewusst ist, dass der Hund sie nicht hören kann, und selbst, wenn er könnte, würde er sich nicht von der Stelle bewegen. Er ist schon lange da, der fiese Hund. Sie kann sich nicht erinnern, wann er zum ersten Mal unter der Laterne aufgetaucht ist und zu bellen begonnen hat, sie kann sich nicht entsinnen, wie der Platz bei der Laterne ohne Hund ausgesehen hat, und sie kann sich nicht vorstellen, was aus der besagten Stelle werden würde, wenn der Hund verschwände. Doch sie glaubt nicht, dass der Hund verschwinden wird. Um ihm zu entfliehen, müsste sie selbst verschwinden. Aber sie weiß nicht, wohin. Also nimmt sie ihn an, den Hund, akzeptiert ihn, lässt ihn zu, und wenn er dort draußen hockt, ist er wenigstens nicht bei ihr im Zimmer. Manchmal hockt er nur unter seiner Laterne und sieht sich um, schweigend und mit suchendem Blick. Manchmal liegt er auf dem Boden, nahezu reglos, scheinbar schlafend. Manchmal wedelt er mit dem Schwanz, manchmal defäkiert er auf den Asphalt, manchmal heult und winselt er. Wenn sie ins Freie tritt, läuft er hin und wieder auf sie zu, schnell und unberechenbar. Manchmal springt er sie an und beißt ihr in den Arm oder in den Schenkel. Während sie daran denkt und hinausblickt, lässt sie ihren Daumen über die groben Spuren auf ihrem Unterarm gleiten, immer wieder. An diesen tauben Stellen spürt sie das Bellen, spürt es besonders stark. Sie denkt an einen Nachbarsjungen aus ihrer Kindheit. Er hatte ein Luftgewehr, und manchmal schoss er damit auf Vögel oder Katzen. Sie mochte den Jungen nicht, hatte Angst vor ihm, doch sein Luftgewehr hätte sie ganz gerne. Sie würde damit auf den Hund zielen, würde abdrücken und auf das Aufjaulen des Tieres warten. Doch eigentlich weiß sie, dass sie ihn verfehlen würde. Dass sie nichts und niemanden treffen würde, höchstens sich selbst. Der fiese Hund würde unvermindert weiterbellen, so lange, bis sich sein Bellen am Ende der Nacht im letzten Morgengrauen verliert.

oh, auch ein fieser Hund hat einen Grund, so fies zu sein, aber vielleicht ist er nur ohne Liebe und weiß nicht, wie es wäre, würde ihn einer möge?
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Ich glaube, dieser fiese Hund ist nicht da, um gemocht zu werden… Vielen Dank dir, liebe Bruni, fürs Lesen und für deine Worte!
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Du meinst, er möchte gehasst werden? Er ist der personifierte Hass? IHN darf man hassen, endlich und keinem tuts weh, es sei denn, man kommt in seine Nähe und spürt seine Reißzähne
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In meinen Augen personifiziert der Hund nicht den Hass, sondern etwas anderes, aber Deutungsfreiheit (und Personifizierungsfreiheit) ist was Wunderbares, und ich freue mich sehr über deine Sichtweise; sie ist bereichernd. Vielen Dank dir!
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