Seitdem er die Medikamente nimmt, fühlt er sich besser, zumindest ein bisschen, ein Schulterzucken besser, aber eigentlich ändert sich nichts, die Schmerzen sind noch da, die verdammten Schmerzen. Am Tag zuvor nannte er einen Freund ein Arschloch, alleine deshalb, weil dieser ihm einen Naturarzt empfohlen hatte. Es ist einer der wenigen Freunde, die er hat, ein guter, und dennoch nannte er ihn ein Arschloch. Nicht scherzhaft, sondern in vollem Ernst und weil der Freund in jenem Moment ein Arschloch war und weil ihm kein anderes Wort einfiel; in der Not vereinfacht man die Dinge. Wenn die Schmerzen übermäßig stark sind, wird er wütend. Manchmal schlägt er mit der Faust gegen die Wand, bisweilen gräbt er seine Fingernägel in sein Fleisch. Er will dann Katzenbabys umbringen, mit seinen bloßen Händen, aber er hat keine Katzenbabys zur Verfügung, darum presst er die Zähne zusammen, bis es knackt im Kiefer. Er mag sie nicht, diese Naturärzte, diese Quacksalber. Er hasst Kamillentee und Tofu. Er geht nicht zum Naturarzt. Er nimmt seine Medikamente, und dann, irgendwann, zuckt er mit den Schultern und denkt an seinen Freund und fragt sich, warum er ihn ein Arschloch genannt hat. Er geht zum Telefon und wählt die Nummer seines Freundes, doch er hört nur das Besetztzeichen. Er hängt auf und knabbert auf seiner Unterlippe.
Sie hat zwei Katzenbabys bekommen, als Geschenk von ihrem Bruder, und eigentlich hätte sie sich bedanken müssen, wenn man beschenkt wird, bedankt man sich, doch statt Danke sagte sie Arschloch. Er ist ihr einziger Bruder, ein guter Mensch dazu, und dennoch nannte sie ihn Arschloch. Nicht scherzhaft, sondern in vollem Ernst und weil der Bruder in jenem Moment ein Arschloch war und weil ihr kein anderes Wort einfiel; in der Not vereinfacht man die Dinge. Du Arschloch, brummte sie. Warum schenkst du mir Katzenbabys? Mehr sagte sie nicht. Er war beleidigt und ging, und jetzt, einen Tag später, hat sie ein schlechtes Gewissen und zwei Katzenbabys. Er hatte es wohl nur gut gemeint, hatte ihr eine Freude machen, sie aufmuntern wollen, doch sie will die Katzenbabys gar nicht haben. Was soll sie mit zwei kleinen Katzen? Sie kann ja kaum für sich selbst sorgen. Die Katzen sitzen auf dem Sofa und blicken sie an, legen die kleinen Köpfe ein wenig schräg. Sie setzt sich neben die kleinen Tiere und streichelt ihr Fell. Es ist weich und fein, und sie kann sich nicht daran erinnern, jemals etwas berührt zu haben, das so weich und fein war wie das Fell der Katzenbabys. Die Katzen miauen, wahrscheinlich haben sie Hunger. Sie macht sich einen Kamillentee und öffnet eine der Dosen mit Katzenfutter, die ihr Bruder dagelassen hat, schüttet den Inhalt auf zwei kleine Teller und stellt sie auf den Boden. Während die Katzenbabys essen, denkt sie an ihren Bruder und fragt sich, warum sie ihn ein Arschloch genannt hat. Sie geht zum Telefon und wählt seine Nummer, doch sie hört nur das Besetztzeichen. Sie hängt auf und knabbert auf ihrer Unterlippe.
Seine Stimme ist dünn und vermag kaum die Winkel des Raumes zu erreichen. Gestern nannten mich zwei Menschen ein Arschloch. Menschen, die ich mag, Menschen, die mir wichtig sind. Vielleicht haben sie ja recht. Und vielleicht sind sie auch selbst Arschlöcher. Am anderen Ende der Telefonleitung spricht offenbar jemand, denn er schweigt. Ich weiß es nicht, sagt er schließlich, und dann, nach einem weiteren Schweigen, sagt er es nochmals. Ich weiß es nicht. Das Gespräch geht weiter, seine Stimme bleibt dünn und leise, und irgendwann lacht er kurz und bedankt sich. Dann hängt er auf und denkt an die beiden Katzenbabys und fragt sich, wie es ihnen geht.

Cat Content. Immer eine gute Idee. 😉
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Miau!
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Insgesamt sind es genau gezählt fünf A…
Von denen zwei eins als solches bezeichnet haben, eins sich als Opfer sieht und von denen zwei kleine die Opfer sind.
Das ist die Quintessenz dieser bösen feinen Geschichte…
Ich brauche nach dieser Geschichte unbedingt einen Baldriantee.
Viel davon.
Und schick mir die Pelzchen vorbei, die kriegen auch was ab.
Liebe Grüße,
Amélie
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Na dann hoffe ich, der Baldriantee hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die kleinen Wollknäuel sind unterwegs…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, und herzliche Grüsse zurück!
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