Eines Tages blickt Eva sich um, betrachtet die Schatten der Bäume an den Häuserwänden, lauscht den vereinzelten Rufen eines Bussards und dem leisen Rauschen der nahen Autobahn. Sie kratzt sich an der Schläfe und wischt mit dem Handrücken über ihren Mund. Dann beginnt Eva damit, eine Mauer zu bauen. Sie baut sie hoch, sie baut sie dick, denn es soll eine gute Mauer werden, eine Mauer, die Schutz bietet, auch wenn Eva nicht genau weiss, wovor und warum. Stein um Stein stapelt sie aufeinander, dichtet die Fugen ab, prüft immer wieder die Stabilität. Manchmal schaut sie sich um, doch eigentlich ist es ihr egal, wenn sie beim Mauerbau beobachtet wird. Sie baut die Mauer nicht für andere Menschen.
Zu Beginn kommt jedem Arbeitsschritt eine Bedeutung zu. Jeden einzelnen Stein wiegt sie in ihrer Hand, dreht und wendet ihn, sieht darin eine symbolische Kraft. Die Steine sind nicht nur Steine, sie sind Teile ihrer Existenz, Fragmente dessen, was sie ausmacht. Jeder Stein hat seine eigene Zeit, seinen eigenen Platz, seinen unvergleichlichen Geruch, seine spezifische Konsistenz. Das Aufstapeln der Steine ist in mehrfacher Hinsicht ein Zusammenfügen und Zusammenführen, Eva spürt die Entwicklung, das Wachstum der Mauer wird nahezu körperlich. Doch mit der Zeit legt sie die Steine stetig achtloser aufeinander, ihre Bewegungen werden mechanisch. Ihre Hände scheinen sich zu autonomen und automatisierten Werkzeugen verändert zu haben, losgelöst von ihrem restlichen Ich. Ihr Blick folgt den Händen, doch auch er wirkt gleichgültig und leer. Dennoch lässt Eva nicht vom Mauerbau ab, glaubt noch immer, dass die Mauer richtig und wichtig ist.
Die Schatten der Bäume an den Häuserwänden sieht sie längst nicht mehr, das Rauschen der Autobahn ist verstummt, aber Eva baut weiter ihre Mauer. Sie baut sie hoch, sie baut sie dick, denn es soll eine gute Mauer werden, eine Mauer, die Schutz bietet, auch wenn Eva nicht genau weiss, wovor und warum. Am Himmel kreist ein Bussard, dreht unaufhörlich seine Runden, doch er bleibt stumm, und als er endlich wieder ein Rufen erklingen lässt, zuckt Eva nur kurz zusammen.
