Diese Geschichte, sie handelt von Jana, einer Frau, die sehr schön und sehr liebenswert war, von beiden Zuschreibungen aber nicht wirklich wusste. In ihren bisherigen Beziehungen hatte sie sich nie zu Hause gefühlt, die Männer waren in den besten Fällen langweilig gewesen, in den schlimmsten Fällen gewalttätig, und wenn sie mit diesen Männern schlief, erreichte sie nie den Höhepunkt, was sie zunächst ein wenig verwirrte, da sie beim Masturbieren keinerlei Probleme hatte, zum Orgasmus zu gelangen. Mit der Zeit wich ihre Frustration über den ausbleibenden Orgasmus jedoch einer wachsenden Gleichgültigkeit. Irgendwann hörte sie auf, nach einer erfüllenden Form der Zweisamkeit zu streben, und beließ es bei vereinzelten sexuellen Kontakten, die weiterhin höhepunktfrei blieben, bis auch jene Begegnungen abebbten und schließlich aufhörten. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf ihre Arbeit als Architektin, gewann an Renommee und erkämpfte sich Erfolge, während sich ihr privates Dasein auf Nahrungsaufnahme, sporadische Haushaltsarbeiten und das erschöpfte Einschlafen vor dem Fernseher reduzierte. Sie war noch immer schön, wenn auch deutlich härter und kälter im Gesicht. Auch wäre sie durchaus noch liebenswert gewesen, doch da ihr von beruflichen Dingen geprägter Alltag diese Qualität höchst selten erforderte, ließ Jana das Liebenswerte in ihr verkümmern. Diese Geschichte, sie könnte an dieser Stelle enden, doch an dieser Stelle endet sie nicht. An dieser Stelle beginnt etwas Neues. Denn bei der Hochzeit ihres Bruders lernt Jana einen Mann namens Ambrosius kennen. Als er seinen Namen nennt, lacht Jana kurz auf und ist überrascht über ihre Reaktion, ist ihr das Lachen doch zunehmend fremd geworden. Du bist schön, wenn du lachst, sagt Ambrosius, ohne sich gekränkt zu fühlen, dass sein Name der Auslöser des Lachens gewesen ist. Sie mag den Satz, den er gesagt hat, ohne ihn wirklich zu verstehen. Sie mag die erfrischende Art des Selbstvertrauens, die Ambrosius offenbar verinnerlicht hat. Sie mag seinen Humor, seine Natürlichkeit. Sie mag die Tatsache, dass er mit seiner Kleidung und seinem Gebaren so gar nicht zu den aufwendigen Inszenierungen der übrigen Hochzeitsgäste passen will. Sie mag Ambrosius und ist darüber ziemlich überrascht. Sie mag ihn so sehr, dass sie vorschlägt, die Hochzeit zu verlassen und in ihrer Wohnung noch etwas zu trinken. Ambrosius willigt ein, doch in der Wohnung haben Jana und Ambrosius plötzlich keinen Durst mehr. Sie umarmen sich, hastig und drängend, wie zwei Liebende, denen das Zusammensein über Wochen und Monate hinweg verwehrt geblieben war. Jana lenkt Ambrosius zu ihrem Bett, wirft dabei ihre einzige Zimmerpflanze um, doch es ist ihr egal. Ambrosius öffnet den Reißverschluss ihres Kleides, zieht es von ihrem Körper, während sie sein Hemd aufknöpft und ihre Hand über seinen Oberkörper gleiten lässt. Sie legt sich auf das Bett, und als er beginnt, ihre Beine zu küssen und seinen Kopf zwischen ihre Schenkel bewegt, ist sie zunächst verunsichert. Einen Augenblick lang denkt sie daran, sich ihm zu entziehen, doch dann lässt sie ihn gewähren. Seine Lippen bewegen sich über ihre Haut, und als sie seine Zunge spürt, zuckt sie kurz zusammen. Bald darauf erreicht sie den Höhepunkt, zum ersten Mal in dieser Form, aber nicht zum letzten Mal in dieser Nacht. Am nächsten Morgen steht Jana im Badezimmer vor dem Spiegel und mustert ihr Gesicht. Es sieht anders aus als zuvor, es wirkt fremd und vertraut zugleich, und im ersten Moment misstraut Jana dem Spiegel, gerade so, als würde er ihr ein falsches Bild zeigen. Die harten Konturen sind einer ungeahnten Weichheit gewichen, die Lippen wirken voller als noch am Tag zuvor, und obschon sie kaum geschlafen hat, wirken ihre Augen ungewöhnlich wach und hell. Und während sie sich allmählich selbst erkennt, wandern ihre Gedanken zu Ambrosius, der noch in ihrem Bett liegt. Sie fragt sich, was nun geschieht, wie und wohin sich diese Geschichte entwickeln wird, und als sie einige Male das Knarren der Dielen im Schlafzimmer hört, glaubt sie die Antwort zu kennen, sie befürchtet, dass er aufsteht und einfach geht, ohne sich zu verabschieden. Sie verlässt rasch das Badezimmer, geht die engen Stufen hinab ins Wohnzimmer und sieht, wie Ambrosius gerade aus dem Schlafzimmer kommt. Sie sehen sich an, und Jana überlegt, ob sie etwas sagen soll, ohne genau zu wissen, was und wie sie es sagen soll, aber Ambrosius kommt ihr zuvor. Ich mache uns Frühstück, okay? fragt er. Sie legt den Kopf ein wenig schräg, blickt ihn an, dann lächelt sie. Jana denkt daran, wie Ambrosius am Abend zuvor gesagt hat, dass sie schön sei, wenn sie lache, und versteht etwas besser, was er meinte. Okay, gibt sie zurück, noch immer lächelnd. Ja, ja, sehr okay. Dann umarmt sie Ambrosius, lässt sich von ihm auf die Stirn küssen und geht mit ihm in die Küche. Diese Geschichte, sie ist damit am Schluss angelangt. Diese Geschichte, sie ist aber nicht zu Ende. Diese Geschichte, sie geht immer weiter. Diese Geschichte, sie ist erfunden. Aber es bleibt die Hoffnung, dass sie wahr sein könnte.
Eine gute Geschichte, die über Wahrheiten spricht, Gefühle, Empfindungen, die meist schamhaft verschwiegen werden
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Vielen lieben Dank dir, liebe Bruni, deine Worte freuen mich sehr… Herzliche Grüsse!
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Zu schön um nicht wahr zu sein.
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Vielleicht liegt nicht nur Schönheit, sondern auch Wahrheit im Auge des Betrachters.
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Gerne, stimmt, immer wieder erfrischend deine Beiträge
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Vielen lieben Dank nochmals!
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Ein Thema, das dich als Schriftsteller immer wieder fasziniert *lächel*
Stimmt’s?!
Fein geschrieben…
Liebe Grüße vom Finbar
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Kann gut sein, ja 😉
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, lieber Finbar, und herzlichste Grüsse zurück!
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🌟
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Die Geschichte ist zu Ende, aber das Leben geht weiter, für die Zwei. Vielleicht zu Zweit….
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Das würde mir gefallen (und den beiden sowieso)… Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Mal Danke für diese Art Lesevergnügen. Liest sich wie Zartbitter mit Creme Brulee-Kruste. Mhmmm…märchenhaft. Und der Name Ambrosius…klingt köstlich und dabei ausgesprochen nahrhaft. Ich wünsche Dir einen schönen dritten Advent. 🧚♀️
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Oh, deine Beschreibung klingt wunderbar delikat, vielen Dank dir dafür, und fürs Lesen und für deine Worte sowieso… Ich wünsche dir ebenfalls eine schöne und genussvolle Adventszeit. Herzliche Grüsse…
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Danke. In der Weihnachtszeit mutiere ich zur Zuckerfee😋…🧚♀️= ✨😉
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Na dann, immer schön Zähne putzen…
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…😁
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