Man sieht ihn nicht täglich, aber doch sehr häufig. Er ist zwischen 60 und 70 Jahre alt, wohnt nur wenige Meter entfernt, und wenn man aus dem Küchenfenster schaut, hat man einen guten Blick auf seinen Balkon. Manchmal steht er dort und gießt seine Pflanzen, oder er blinzelt in die Sonne. Manchmal tritt er nur für wenige Sekunden auf den Balkon und geht sofort wieder hinein. Manchmal bleibt er auch einfach drin oder ist gar nicht daheim. Doch immer weiß man, dass er dort wohnt, dass er dort zu Hause ist, und weil er dort zu Hause ist, gehört er dazu, gehört zum Bild, zum Quartier, zum Dorf. Man hat noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, und dennoch ist er ein Teil des Bekannten und Gewohnten, ein Teil der eigenen Wirklichkeit.
Irgendwann schaut man aus dem Küchenfenster hinüber zu seiner Wohnung und bemerkt, dass sich etwas verändert hat. Sein Balkon ist aufgeräumt, da sind keine Vorhänge mehr an den Fenstern, und im Innern scheinen Möbel zu fehlen. Beim nächsten Blick aus dem Küchenfenster sieht der Balkon noch karger aus, nur einige gestapelte Plastikstühle stehen da. Die Wohnung ist noch leerer als zuvor. Und der Mann, den man doch eigentlich so häufig sieht, ist offenbar verschwunden, ist nicht mehr da.
Was zurück bleibt, sind die Fragezeichen. Wo ist er hin? Wer war er überhaupt? Wie fühlte er sich? Was ging ihm durch den Kopf, während er auf dem Balkon stand? Viele dieser Fragen stellte man sich schon, als er noch da war. Doch jetzt, wo er weg ist, hat es irgendwie eine andere Bedeutung, dass man die Antworten nicht kennt.

…das sind die Randnotizsympathien, die es nicht über den Ursprung menschlichen Interesses und Neugier hinaus schaffen. Man hätte nicht mehr wissen mögen, nur sich sicher fühlen in der Verlässlichkeit eines anderen Daseins. Die Bedeutung des Gefühls, das zurück bleibt, wenn ein vage bekanntes Gesicht aus der Peripherie Bekannter verschwindet, einfach so und Fragen hinterlässt, die Mau im Magen kochen, ist das die Angst vor dem eigenen Verschwinden in einer weiteren Belanglosig- und Beliebigkeit, ist es der Verlust, leise anklopfend: ja, auch Dich kann es genauso treffen und – wer fragt dann wohl nach Dir?
Großes Kino, lieber Disputnik
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Vielen herzlichen Dank dir, fürs Lesen und für deine Gedanken und für das Wort Randnotizsympathien.
Das Verschwinden – jenes von anderen, eigentlich fremden Menschen, aber auch von sehr vertrauten und ja, auch das eigene Verschwinden – ist wohl meistens mit einer gewissen Angst und Wehmut und dem Bewusstsein der Vergänglichkeit verbunden, oder nicht?
Nochmals lieben Dank dir und herzliche Grüsse…
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manche machen neugierig und hinterlassen Spuren, manch andere wirken eher lästig und fehlen gar nicht, wenn sie weg sind
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Und manchmal fehlen sogar die Lästigen ein wenig, zumindest vorübergehend.
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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Da merkt man immer wieder, wie selbstverständlich man seine Umgebung wahr nimmt. Mit all den Menschen und Gegebenheiten.
Ob man danach mehr Kontakt sucht in seiner gewohnten Umgebung? Ich denke nicht.
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Manchmal ist aber zumindest das Wahrnehmen ein Gewinn… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Und nach einer gewissen Weile hört man auf sich zu fragen, zu gering war der tatsächliche Kontakt …
Fein geschrieben, lieber Disputnik!
Herzliche Grüße vom Finbar
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…und zwischendurch tauchen die Fragen dann vielleicht doch wieder auf und verschwinden wieder…
Vielen lieben Dank dir und herzliche Grüsse zurück!
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Das ist natürlich durchaus möglich, lieber Schreibfreund …
Herzlich, Finbar
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