Manchmal denkt sie, ohne erkennbaren Anlass, an die Suffragetten oder an Simone de Beauvoir. Dann fühlt sie sich jeweils klein und unbedeutend, aber auch bestärkt und ein wenig stolz, alles im gleichen Moment. Die divergenten Empfindungen ziehen und zerren an ihr, schieben sie in alle Richtungen, dass sie ins Wanken und Stolpern gerät.
Ihr morgendlicher Weg zur Arbeit führt sie einem kleinen Waldstück entlang, von dichtem Gebüsch gesäumt. Sie hat keine Angst in diesem Waldstück, die Welt ist an anderen Orten weitaus gefährlicher als hier. Sie mag diesen Abschnitt des Weges, mag ihn für seine Ruhe und für die Harmonie der Natur. Wenn da nur nicht die Spinnennetze wären. Vor allem in den warmen Monaten pflegen die Achtbeiner ihre beeindruckenden Bauwerke zu errichten, und obschon sie die Spinnen für ihren beinahe irrwitzigen Fleiß und die Kunstfertigkeit ihres Tuns bewundert, sind ihr die Begegnungen mit den Spinnennetzen zuwider. Sie sind kaum zu sehen, vor allem, wenn sie abseits des Sonnenlichts hängen. Sie bewegt sich mit einer gewissen Vorsicht, trotzdem vermag sie nicht zu verhindern, in unliebsamen Kontakt mit einem Spinnennetz zu geraten. Sie streift die hauchdünnen Fäden umgehend ab, mit hastigen Bewegungen und großer Dringlichkeit. An manchen Tagen hat sie jedoch den Eindruck, dass es vergeblich ist. Immer mehr verstrickt sie sich in das Netz, mit jeder Bewegung scheinen sich die Fäden enger um ihren Körper zu ziehen. Sie gerät aus dem Tritt, spürt die zunehmenden Widerstände, wehrt sich gegen die wachsende Ohnmacht und Ausweglosigkeit. Und manchmal, wenn die Netze sie gar heftig umschlingen, hat sie Angst, sich nicht mehr befreien zu können. Sie hängt wehrlos zwischen den Bäumen und Büschen, und während keine Menschenseele zu sehen ist oder ihr Rufen vernehmen könnte, hört sie, wie die Spinne langsam näher kommt, immer näher.
Sie konnte bisher stets entkommen, konnte sich befreien und zerriss in ihrem erschöpften Zorn bisweilen ein Spinnennetz mit einem Stock. Doch schon am nächsten Morgen sind neue Spinnennetze da, oftmals noch beeindruckender und kunstvoller als am Tag zuvor. Wieder verstrickt sie sich, wieder gerät sie aus dem Tritt, wieder ziehen sich die Fäden immer enger um ihren Körper. Sie denkt dann vielleicht an die Suffragetten oder an Simone de Beauvoir. Doch sie fühlt sich dabei weder klein und unbedeutend noch bestärkt und stolz. Sie fühlt sich vor allem traurig und wütend. Dann windet sie sich und versucht, die Spinnweben abzustreifen. Doch allmählich schwinden die Kräfte, ihre Glieder schmerzen, die Muskeln brennen, der Hals wird trocken. Und während keine Menschenseele zu sehen ist oder ihr Rufen vernehmen könnte, hört sie, wie die Spinne langsam näher kommt, immer näher.

Ich glaube, da würde ich lieber einen längeren Umweg in Kauf nehmen. Auf der einen Seite tun mir die Spinnen und die Netze leid, aber andererseits …..
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Im übertragenen Sinne sind oftmals keine Umwege möglich… Aber ansonsten scheint mir ein Ausweichen auch die rücksichtsvollere Möglichkeit, ja…
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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