Jemand versucht, eine herannahende Hummel fortzujagen, und Eva sagt, dass eine Hummel eigentlich gar nicht fliegen können dürfte, bei Anwendung der physikalischen Gesetze und in Anbetracht von Körpergewicht und Flügelspannweite müsste ihr das Fliegen unmöglich sein. Trotzdem fliegt die Hummel, sagt Eva. Der triumphierende Ausdruck auf ihrem Gesicht mutet an, als hätte sie soeben alle Wahrheiten der Welt widerlegt. Jemand erzählt, dass ein Pinguin fliegen könnte, wenn er zuvor auf eine Geschwindigkeit von 800 km/h beschleunigt hätte, doch niemand hört zu, da ist kein Triumph, Eva lächelt milde, und der Pinguin bleibt auf dem Boden, legt sich hin, und dann liegt er da, auf dem kalten Eis.
Eva weiß, dass sie nicht alles weiß, aber was sie weiß, das weiß sie besser als die meisten, findet sie. Sie weiß auch, dass es bisweilen arrogant wirken kann, wenn man so viel weiß wie sie, darum versucht sie, ihre auffällige Intelligenz durch Humor zu kaschieren, schließlich ist sie nicht nur klug, sondern auch lustig. Nicht einfach lustig. So richtig lustig. Betont lustig. Ihrem Umgang mit anderen Menschen – und ist nicht jeder Mensch ein anderer Mensch? – haftet etwas zutiefst Clowneskes an. Sie zieht Grimassen, dreht lange Nasen, grinst von einem Ohr zum anderen und wieder zurück, wirft imaginäre Konfetti in die Luft und stolpert über unsichtbare Fallstricke, ohne hinzufallen.
Doch dann fällt Eva tatsächlich hin, einfach so, ohne Vorwarnung, und jetzt liegt sie da, niemand lacht, und sie weiß nicht, was sie mit ihrem Gesicht machen soll. Jemand sagt, dass es ja durchaus denkbar wäre, dass der Krebs geheilt werden kann, es ist ja nicht unmöglich, und wenn es nicht unmöglich ist, dann ist es möglich, schließlich könne auch eine Hummel fliegen, obwohl sie eigentlich gar nicht fliegen können dürfte, aber Eva winkt ab und denkt an den Pinguin, der so schnell rennt wie er nur kann und mit seinen kümmerlichen Flügeln flattert, aber dennoch nicht abhebt. Eva lächelt bitter, und der Pinguin kommt zu ihr hin und legt sich neben sie auf den Boden, und dann liegen sie da, auf dem kalten Eis.

Und der Pinguin ist ein begnadeter Virtuose im Meer, wo er mit wunderschönen Bewegungen von Grazie und Anmut durch sein Element schwebt.
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Ohja, durchs Wasser fliegen kann er!
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Lieber Disputnik,
deine Texte lassen mich bisweilen überrascht und/oder sprachlos zurück. Wie beeindruckend! Wunderschön!
Viele Grüße
Felicitas
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Oh, das freut mich sehr! Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte (trotz überraschter Sprachlosigkeit)!
Herzliche Grüsse zurück…
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Eine beeindruckende Geschichte, lieber Disputnik.
Deprimierend, wenn die ganze Intelligenz nicht mehr reicht, wenn das Leben mit aller Macht und Kraft zuschlägt, sich der Optimismus verflüchtigt und nur noch das Bittere zählt
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Hmmja, liebe Bruni, bisweilen können weder Intelligent noch Humor oder andere Kräfte etwas gegen den Lauf der Dinge ausrichten… Vielen lieben Dank dir für deine Worte! Und herzliche Grüsse…
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