Die Katze fällt immer auf die Füße, aber das Marmeladenbrot trifft stets mit der oberen Seite zuerst auf, und wäre es ein Nutellabrot, es würden sich nur Farbe, Geschmack und Konsistenz des Brotaufstrichs ändern, nicht aber die Umstände, ebenso wenig die Tatsache, dass man den Boden nass wischen muss, und wenn man sich auf die Lippe beißt und den eigentümlichen Geschmack des Blutes schmeckt, wüsste man eigentlich, dass man sich bald noch einmal auf die Lippe beißen wird, an genau der gleichen Stelle, doch man denkt noch nicht daran, sondern ärgert sich darüber, dass man sich überhaupt auf die Lippe gebissen hat, der Schmerz lebt im Moment und kümmert sich nicht um die Folgen, und erst, wenn man sich dann erneut auf die Lippe beißt, an genau der gleichen Stelle, erinnert man sich daran, dass dies jedes Mal geschieht, gerade so, als würden die Zähne von der geschwollenen Stelle magisch angezogen, und in einem großen Wald in einem kleinen Dorf geht ein mittelgroßer und seltsam festlich gekleideter Mann spazieren, obwohl ein heftiger Wind weht, und bald wird der Wind zum Sturm, der Spaziergänger spaziert nicht mehr, sondern eilt durch den Wald, während der Sturm sich immer heftiger gebärdet, der Mann eilt und eilt und gerät allmählich außer Atem, zu viele Zigaretten, denkt er, und irgendwann bleibt er stehen, schwer keuchend, er beugt sich vornüber und stützt seine Hände auf die Oberschenkel, gleich oberhalb der Knie, er hört das Pochen seines pulsierenden Blutes in seinen Ohren, das Heulen des Windes im Wald, es ist laut, so laut, dass er das Knacken hinter ihm nicht hört, und als ihn der Förster später findet, schaut er ungläubig, nimmt den Hut vom Kopf und wischt sich den Schweiß von der Stirn; er denkt daran, seiner langjährigen Freundin endlich einen Heiratsantrag zu machen, es wäre an der Zeit, wie man sagt, doch später vergisst er es wieder, und irgendwo wird eine junge Frau von ihrem Verlobten am Tag der geplanten Hochzeit versetzt, er taucht einfach nicht auf, und die Braut wartet und wartet, eineinhalb Stunden lang, neunzig Minuten, neunzig verdammte Minuten, und sie denkt an Fußball, an Angriff und Verteidigung, an die Waden der Spieler, und dann hört sie einen schrillen Pfiff, das Spiel ist aus, das Spiel ist entschieden, sie hat verloren, aber nach dem Spiel ist vor dem Rest des Lebens, und sie könnte ein Nutellabrot sein, oder ein Marmeladenbrot, doch sie will lieber eine Katze sein, eigensinnig und elegant, sie will hören, wenn es knackt im Wald, also knabbert sie noch ein wenig auf ihrer Unterlippe und tastet mit der Zungenspitze nach der kleinen geschwollenen Stelle, und später legt sie sich hin und streichelt die Katze und wartet, bis der Boden wieder trocken ist.

Murphy‘s Gesetz, fein umgesetzt. Es ist ganz schön schwierig, sich nicht auf eine geschwollene Lippe zu beißen, mit der Zunge dran herumzufummeln obwohl Mama früher sagte: Du sollst das doch in Ruhe lassen, das kann sonst nicht heilen und dann ist es schon passiert und die Zähne erwischen das Schlimme schon wieder, weil es eine ‚Erhebung‘ darstellt, dann fällt schon wieder Murphy über Dich her, der Fußboden sieht aus wie ein Verkehrsunfall, weil es dummerweise Erdbeermarmelade war und dann stehst Du mit dem vollgekleckerten Kleid in der Kirche und der Zoch kütt einfach nicht und dann wachst Du auf, Jahre älter, mit einer Erdbeermarmeladestulle in der Hand, ohne Lippenerhebung zum Draufbeißenkönnen, ohne Zoch und Ehemann und Kirche und Du denkst: pass bloß auf…
Jo, loser Gedankenflow zu Deiner klasse Geschichte!
Liebe Grüße von der Fee ✨🧚♀️
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…und einmal mehr fliesst die Geschichte in deinem Kommentar weiter, erobert neues Gelände und dehnt sich auf alle Seiten aus!
Ja, pass bloss auf, und vor allem; vielen Dank dir fürs Lesen und Weiterfliessenlassen…
Herzliche Grüsse zurück
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….und der Disputnik schreibt immer so tolle Geschichten, die gehen von einem Thema zum Nächsten und alles ohne Punkt oder Ausrufezeichen, da muss man sich schon mal atemlos auf die Lippe beißen und man verfolgt die Geschichte immer weiter, denn sie scheint irgendwie doch kein Anfang oder Ende zu haben.
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Oh, vielen lieben Dank dir! Manchmal dauert’s bei mir halt länger, bis ich auf den Punkt komme. Umso schöner, wenn du den Worten bis dahin folgen magst. Nochmals danke und beste Grüsse
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Gerne.
Es ist immer recht interessant wie man von den einen zum anderen Thema wechseln kann. Es passt nicht zusammen, es irritiert aber auch nicht beim Lesen.
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