Nachdem ein Vogel gegen das große Wohnzimmerfenster geflogen war und sich das Genick gebrochen hatte, ging Jonas der Gedanke durch den Kopf, dass dies ein unheilvolles Vorzeichen sei und dass etwas Schlimmes geschehen werde. Als eine Woche später sein Vater stirbt, hat Jonas den toten Vogel längst vergessen.
Julia war überzeugt, dass David der Mann ihres Lebens sein würde, sie wollte an seiner Seite alt werden und glücklich sterben. Als er sich während einer Geschäftsreise einen Abend lang nicht meldet und erst am nächsten Tag auf ihre Textnachricht reagiert, denkt sie nur ganz kurz an das vermeintlich Undenkbare.
Ernst liebte seine Trompete, liebte den Geschmack des Mundstücks, den hellen Klang. Als der Hund an ihm hochspringt und in seine Lippe beißt, spürt er einen stechenden Schmerz, ohne zu wissen, dass dieser bald vom Mund zu seinem Herzen wandern und fortan in seiner Brust wohnen wird.
Die dunklen Gewitterwolken wirkten auf Franziska wie die Vorboten der Apokalypse, das andauernde Donnergrollen hörte sich an wie das letzte Röcheln und Knurren vor dem Ende. Als sie einige Tage später beim Arzt sitzt und seine Worte gar nicht richtig einordnen kann, scheint draußen die Sonne vom blauen Himmel.
Als Max ein kleiner Junge war, dachte er bisweilen, dass die Welt am Horizont zu Ende sei, obwohl er genau wusste, dass es noch andere Orte außerhalb seines Blickfeldes gab. Während er zum ersten Mal die kalte Luft im Gefängnis einatmet, ist der kleine Junge längst aus einem Innern verschwunden.
Tina konnte früher nur mit dem Daumen im Mund einschlafen, er beruhigte sie, sorgte für ein Gefühl der Sicherheit. Als der Wagen neben ihr hält und der Fahrer sie fragt, wohin er sie denn mitnehmen könne, nennt sie ihm ein Ziel, ohne zu ahnen, dass sie es nicht erreichen wird.
Er weiß nicht mehr, ob es die Lüftungsöffnungen, der große Heckspoiler oder die Flügeltüren waren, doch Lars war stets fasziniert von den Formen des Lamborghini Countach. Während er mit seinem Hyundai Kombi aus der Parkgarage des grauen Wohnblocks fährt, wundert er sich, wo er sein wird, wenn man ihn zum ersten Mal vermisst.
Wenn Anita als Kind gefragt wurde, was sie später werden wolle, sagte sie jeweils Krankenschwester, manchmal auch Ärztin. Nachdem sich die Tür des Spitalzimmers geschlossen hat, hat sie den Namen des Arztes bereits wieder vergessen, obwohl er ihn kurz zuvor gesagt hat.
José hatte seinen Eltern noch nicht erzählt, dass er schwul war, doch er wusste bereits, dass er niemals jemanden mehr lieben würde als Louis. Am Tag der Beerdigung sitzt er allein in einem Taxi und beobachtet die Regentropfen, die stetig über die Fensterscheibe des Wagens eilen.
Island sei ihr Traumland, pflegte Hanna zu sagen, sogar dann, wenn sie nicht danach gefragt wurde; sie wolle sich in den atemberaubenden Landschaften verlieren. Nun steht sie in einer dieser atemberaubenden Landschaften und fragt sich, ob sie sich hier vielleicht auch finden kann.

Jeder Abschnitt eine eigene Geschichte. Faszinierend… aber irgendwie auch deprimierend, Deine Grundstimmung. Nun ja, die letzte hat doch Perspektive 🙂
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Das mit dem unbeschwerten Optimismus kriege ich einfach nicht so hin 😉
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Das geht mir auch so. Meine Kreativität hat ihre Quelle wohl auch eher im Leid der Menschen als in der Unbeschwertheit… sofern es so etwas hinter der Fassade der Spasskultur überhaupt gibt.
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Ich glaube, auch (oder gerade) hinter den buntesten und fröhlichsten Fassaden tun sich Abgründe auf…
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Darum fand ich die Filme von Claude Chabrol immer so faszinierend.
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Ich lese deine Sachen immer gern, aber von diesem bin ich richtig fasziniert.
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Oh, wie schön! Das freut mich sehr! Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und fürs Fasziniertsein! Herzliche Grüsse…
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Die Hamburger würden sagen“ da nicht für“
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