Er erinnert sich noch genau an jenen Tag. Dicke flockige Wolken hingen am Himmel, ein leichter Dunst lag über dem See, es war warm, ein zaghafter Wind wehte. Es war ein ermüdend normaler Tag, so schien es, und während er am Ufer stand, griff die Normalität auch auf ihn über; er verspürte eine gewisse Gleichgültigkeit, die ihm jedoch nicht unangenehm war, trug sie doch eine Leichtigkeit in sich, die ihm nicht allzu vertraut war.
Er hatte bereits einige Steine geworfen, auch dies mit der gleichen Gleichgültigkeit. Als er einen weiteren Stein aufhob, fiel ihm keine Veränderung auf. Er warf den Stein auf den See hinaus, in die gleiche Richtung, in die schon die anderen Steine geflogen waren. Er kann sich nicht erklären, wann und wie der Stein verschwand. Zunächst realisierte er gar nicht, dass der Aufprall ausgeblieben war. Erst nachdem er einige Sekunden auf die unbewegte Wasseroberfläche gestarrt hatte, wurde ihm bewusst, dass der Stein den See nicht erreicht hatte. Er war verdutzt, beinahe entsetzt, seine Verblüffung ließ ihn erstarren. Er blinzelte, schüttelte langsam den Kopf und versuchte, sich einzureden, dass er sich den ausgebliebenen Aufprall nur eingebildet hatte. Doch eigentlich war er sicher, was er gesehen oder eben nicht gesehen hatte. Der Stein war nicht ins Wasser gefallen. Und diese Tatsache ließ ihn wanken und schwanken.
Seither verging kein Tag, an dem er nicht an die Begebenheit am See dachte. Immer wieder versicherte er sich, dass es eine logische Erklärung geben müsse, und sagte sich, dass die Situation, wie auch immer sie sich zugetragen hatte, vollkommen unwichtig war. Doch zunehmend glaubte er, eine weitere Ebene der Ereignisse zu erkennen, eine tiefere Bedeutung, eine bislang unentdeckte Höhle im Gefüge seiner eigenen Geschichte. Es war keine Nichtigkeit, keine Randnotiz seines Daseins, und es war auch kein Zufall, dass es ihm passiert war. Der ausgebliebene Aufprall, er war ein Symbol für seine eigene Unzulänglichkeit, für seine fehlende Relevanz. Was er tat, hatte keine Auswirkungen, keine Bedeutung, sein Handeln war belanglos. Wäre er selbst es gewesen, der aufs Wasser hinaus geflogen war, er wäre ebenfalls nicht aufgeprallt. Er hätte sich aufgelöst, wäre verschwunden, und dieses Verschwinden war etwas, das er in sich trug. Er war verschwindend. Und ist es noch immer, immer mehr.
Nun steht er erneut am Seeufer, blickt hinaus. Es ist ein anderer Tag, oder das, was davon übrig blieb, das Licht schwindet immer mehr. Es ist ein anderer Himmel, die Wolken hängen schwer über dem Wasser. Es ist eine andere Gleichgültigkeit, nicht mehr leicht und schwebend, sondern träge und dumpf, wie ein Gewicht, wie eine Krankheit. Er hebt einen Stein hoch, schwer und grob und kantig. Mit beiläufigen Bewegungen wiegt er ihn in den Händen, dreht ihn zwischen den Fingern. Er schaut auf den Stein, dann auf den See hinaus, dann wieder auf den Stein, hin und her. Irgendwann bleibt sein Blick an einer Stelle auf der Wasseroberfläche hängen, etwa dort, wo der Stein landen würde. Falls er landen würde. Er weiß nicht, ob er landen würde. Doch eigentlich interessiert es ihn auch nicht sonderlich, nicht mehr. Er hält weiterhin den Stein in seiner Hand, blinzelt kurz und starrt unverändert auf jenen Punkt auf dem See.
