Jedes Mal, wenn er seine leeren Bierflaschen zur Altglassammelstelle bringt, tut er doch eigentlich etwas Gutes, etwas Wertvolles, er rettet die Welt im Kleinen, er übernimmt Verantwortung, er beweist Achtsamkeit, doch er fühlt sich nicht achtsam, fühlt sich nicht wertvoll. An guten Tagen fühlt er gar nichts. Doch die guten Tage sind selten geworden.
Vermutlich fällt er gar nicht sonderlich auf, wie er mit zwei gefüllten Papiertüten zum Sammelcontainer schleicht; hierher kommen vornehmlich Menschen mit Tüten voller leerer Flaschen, er ist in dieser Hinsicht die Regel, nicht die Ausnahme. Manche unter ihnen sind dennoch anders, beinahe eine eigene Spezies, er erkennt sie sofort, und dazu braucht es keine roten Nasen oder zerzausten Haare oder schmutzigen Hosen. Es genügt ein Blick in die Augen, ein kurzer nur, denn der Angesehene schaut beim Blickkontakt umgehend weg. Einige sieht er häufig, und er weiß nur zu gut, dass dies kein Zufall ist. Versager!, zischt eine Stimme in seinem Kopf, und manchmal ist er nicht sicher, ob sie ihn selbst oder die anderen meint.
An manchen Tagen macht ihn sein Scheitern wütend, so wütend, dass er mit seinen Fäusten die stickige Luft um ihn herum verprügelt und bisweilen auch etwas trifft, eine Mauer vielleicht oder eine Tür. Das tut weh, natürlich, solche Tage sind schlimm, doch noch schlimmer sind die Tage, an denen ihn sein Scheitern nicht einmal mehr wütend macht, die Tage, an denen die Kraft kaum reicht, um eine Faust zu ballen. An diesen Tagen weiß er, dass er verloren hat. Obwohl er sich nicht mehr daran erinnert, was er überhaupt zu verlieren drohte.
Bisweilen bemüht er sich, den Kreislauf zu durchbrechen. Doch allzu oft gerät er dann aus dem Takt und fällt noch heftiger hin als gewohnt. Hin und wieder gehen dabei einige der leeren Bierflaschen zu Bruch. Er geht schnell weiter, entfernt sich hastig vom Ort des Geschehens. Und verspürt danach noch lange das nagende Bedauern, die Bierflaschen nicht zur Altglassammelstelle gebracht zu haben. Obschon es nur wenige Flaschen waren; es wäre dennoch wichtig gewesen. Auch wenn die Dinge aus den Fugen geraten, legt er trotz allem Wert darauf, Verantwortung für seine Umwelt zu übernehmen. Er rettet die Welt im Kleinen. Obwohl es nicht seine Welt ist.

So wahr und gut eingefangen. Ich kenne tatsächlich Leute, die das zu nassen Zeiten so gehandhabt haben oder die nass sind und möglichst penibel darauf achten, dass ihr Stoff wenigstens nicht noch mehr Schaden durch seine Behältnisse anrichtet.
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Gefühle wie Scham sind bisweilen ein starker Motor… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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