Sie vermag nicht einzuschätzen, wann es begann. Es dauert schon lange an, glaubt sie, doch die Zeit hat ihre Kalkulierbarkeit verloren; Stunden sind kaum von Tagen zu trennen, die Wochen sind Treibgut in einem trägen Fluss.
In meiner Brust ballt der Teufel eine Faust. So lautet ihre Antwort, wenn jemand fragt, was los sei. Kaum jemand will wissen, wie es ihr geht. Sie sagen Was ist los, und häufig ist da nicht einmal ein Fragezeichen im Gesagten. In meiner Brust ballt der Teufel eine Faust. Sie hat alle Erklärungen und Deutungen versucht, hat von einem Zerren und von Krämpfen gesprochen, von Schmerzen sowieso, doch nichts davon traf den Kern, nur dieser eine Satz fasste ihr Gefühl in die passenden Worte. In ihrer Brust ballt der Teufel eine Faust.
Dr. Hrdlicka lächelte. Mit seinen dünnen Lippen und den kleinen Augen hinter den randlosen Brillengläsern lächelte er. Dann sagte er, dass auf dem Röntgenbild nichts zu erkennen sei. Später ließ er eine Magnetresonanztomographie und eine Computertomographie anfertigen, und danach lächelte er erneut. Da sei nichts, bekräftigte er. Sie sei kerngesund. Aber der Teufel, begann sie, doch er hob beschwichtigend die Hände und lächelte unbeirrt. Dann begann er, eine Geschichte zu erzählen, von Luzifer und davon, wie dieser rebellierende Engel für seine Auflehnung durch Gott und seine Engel aus dem Himmel vertrieben wurde. Sie hörte gar nicht zu, dieser Teufel, von dem ihr Arzt erzählte, er war ihr egal, er hatte nichts mit ihrem Teufel gemein. Sie starrte lediglich auf die dünnen Lippen von Dr. Hrdlicka, die sich unaufhörlich bewegten, und dachte an die Faust in ihrer Brust.
Der Schmerz hockt auf der rechten Seite, nicht dort, wo das Herz ist. Sie ist froh, dass der Teufel nicht ihr Herz ergriffen hat, doch tröstlich ist es kaum. Häufig schlägt sie mit dem Handballen gegen den Brustkorb, und manchmal hält sie sich ein Messer an die Brust. Natürlich würde sie niemals zustechen, obwohl sie denkt, dass sie es könnte. Aber es würde nichts nützen.
Eines Nachts träumt sie von einem alten Mann, der ihr ein kleines braunes Fläschchen in die Hand drückt und ihr sagt, dass sie die Flüssigkeit darin trinken müsse. Das ist gegen den Teufel, krächzt der alte Mann. Sie nickt und dreht das Fläschchen in ihren Händen. Vorsichtig nimmt sie den Deckel ab und hält sich das Gefäß an die Nase, aber sie kann nichts riechen. Sie führt das Fläschchen an die Lippen, doch bevor sie trinken kann, erwacht sie. Der Teufel ballt seine Faust noch etwas stärker, zerrt heftig am Gewebe. Vermutlich hat ihr Traum ihn verärgert. Sie steht auf und geht in die Küche, trinkt ein Glas Wasser und betrachtet ihr Spiegelbild im Küchenfenster. Im schwachen Licht der kleinen Lampe ist ihr Gesicht kaum zu erkennen, da ist nur eine dunkle Fläche, umrahmt von ihren Haaren. Sie versucht zu lächeln, doch sie weiß nicht, ob es gelingt.
In einem weiteren Traum steht sie an einem großen See, vielleicht sogar an einem Ozean, und blickt hinaus aufs Wasser. Die Wellen erheben sich weit draußen, türmen sich auf, drängen ans Ufer, streben unaufhörlich zum Land hin und zerbersten beim Auftreffen, ein fortwährendes Schauspiel von Entstehen und Vergehen, von Geburt und Tod, während das Licht manchmal strahlt und alsbald wieder schwindet, immer mehr. Und dann, nachdem eine besonders hohe Welle ans Ufer geprallt und zerbrochen ist, folgt keine weitere Welle mehr, das Wasser wird abrupt still, vollkommen ruhig und klar, die Oberfläche spiegelglatt. Sie steht und starrt, wartend auf eine Bewegung, auf ein Weiterfließen der Zeit, aber nichts geschieht, alles bleibt reglos. Sie will sich aus dem Traum lösen, will aufwachen, will dem erstarrten Moment entfliehen, doch sie vermag sich nicht zu rühren, eine kalte Lähmung erfüllt ihren Körper. In ihrer Brust ballt der Teufel eine Faust. Immer stärker. Immer stärker. Dann lässt er los.

Es ist ein teuflisches Gefühl, da drin etwas zu spüren,
einen Fremdkörper, der Angst macht,
aber es ist nicht dieser Belzebub,
der Angst einjagen will,
es ist ein Problem, das es zu lösen gilt
LikeGefällt 1 Person
Ja, aber manches Problem, mancher Teufel, lässt sich nicht lösen, hockt einfach da, in der Brust oder sonstwo, und geht nicht mehr weg…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse
LikeGefällt 1 Person