(Ein E-Mail-Dialog zwischen Hanna und Simo. Der E-Mail-Dialog findet statt, als er und sie eine Zeit lang räumlich getrennt sind. Simo ist in Finnland, um sich vom Ferienhaus der Eltern zu verabschieden. Seine Freundin Hanna bleibt in der Schweiz. Er ist sieben Tage dort. In diesen sieben Tagen schreiben sie sich E-Mails.)
Simo schrieb am Samstag, 8. Juni:
Liebe Hanna
Erinnerst du dich noch, wie wir damals, als du hier warst, mit dem Ruderboot hinausgefahren sind bis zum großen Stein? Wir sind hinaufgeklettert, obwohl du die Möwenscheiße eklig fandest. Trotzdem hast du dich neben mich gesetzt, hast dich an mich gelehnt und hast dann gesagt, dass du glücklich bist. Das klang so überrascht, beinahe so, als hättest du nicht damit gerechnet, glücklich zu sein. Als du das sagtest, spürte ich eine ungeahnte Euphorie in mir. Vielleicht fühlte ich mich, ich weiß nicht, irgendwie stolz, dass du glücklich warst, während ich an deiner Seite war. Vor allem aber war ich einfach froh, dass du glücklich warst. Weil es das war – und ist –, was ich wollte. Dass du glücklich bist.
Es ist möglich und wohl auch wahrscheinlich, dass irgendwann der Moment kommt, in welchem du nicht mehr glücklich bist an meiner Seite, der Moment, in dem du erkennst, dass du das Glücklichsein woanders suchen musst. Und so sehr mich dieser Gedanke auch schmerzt, so sehr nehme ich mir vor, mir dereinst vor Augen zu führen, dass du zumindest damals, auf dem großen Stein im See, neben mir und inmitten von Möwenscheiße, glücklich warst. Und ich auch. Sehr.
Und ja, dieser Gedankengang, er lässt sich auch auf das Ferienhaus anwenden, auf die Bäume hier, auf die Sauna, auf den See. Das war alles da. Das war alles wichtig. Und nun wird es von der Zeit fortgespült. Doch unter dem Strich, als Bilanz meiner Geschichte, ist es dennoch nicht verloren.
Morgen komme ich zurück. Ich freue mich darauf. Auf dich.
Bis bald.
Hanna schrieb am Samstag, 8. Juni:
Lieber Simo
Ich war wirklich glücklich, damals auf dem Stein, inmitten von Möwenscheiße. Ich war und bin auch in anderen Momenten glücklich, aber dort auf dem Stein im See wirkte die Welt so hell und frisch, als wäre sie gerade erst erwacht. Doch möglicherweise gab sie damals ein Versprechen ab, das sie nicht halten konnte. Die Welt, unsere Welt, kann nicht immer hell und frisch sein. Und wahrscheinlich scheitere ich manchmal daran, das zu akzeptieren.
Während ich dir schreibe, nimmst du Abschied. Wirst all die Winkel im Ferienhaus ein letztes Mal sehen, wirst ein letztes Mal den Weg zum Strand gehen, wirst ein letztes Mal zu den Möwen hinausschauen. Ich weiß nicht, welche Gedanken dir dabei durch den Kopf gehen, doch ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach wird. Ich würde gern neben dir stehen und hinausschauen. Irgendwie tu ich das, stehe neben dir, schaue hinaus zu den Möwen. Ihr Geschrei ist nicht schön, aber wenn es verstummt, vermisst man es.
Ich warte dann am Flughafen. Auf dich. Auf uns.
Gute Heimreise.
(Der gesamte Dialog wurde im Rahmen der Finissage der Ausstellung Nordsicht #2 im Kunstraum Nextex in St.Gallen als Textinszenierung aufgeführt.)
Ach, schon das Ende?
Aber ein feines offenes Ende, das ich sehr gut weiterspinnen kann und es ist wie das Leben, von Wellen bewegt… Mal ziehen sie uns runter und dann wieder nach oben. Am Ende werfen sie uns an den Strand, mal schmerzhaft und ein anderes Mal sehr behutsam und mit Engelsgeduld…
*Ihr Geschrei ist nicht schön, aber wenn es verstummt, vermisst man es.
Ein weiser Satz!
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Ja, die sieben Tage sind vorbei, aber die Geschichte geht weiter…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse!
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Der Spannungsbogen war perfekt: ich wartete förmlich auf eine schlechte Nachricht….weil es eben sehr oft so ist, dass zwei an dem scheitern, was ihnen in ihrem Alltagsbewusstsein verloren ging, denn Liebe kennt keine Zeit.
Glücklich ist man nicht mit Orten, doch sie können glücklich machen, wenn sie mit Erinnerungen an andere Zeiten und Menschen verbunden sind und manchmal muss man sich davon trennen, die Zeit verabschieden und gemeinsam neue Träume erfinden. Für diese Beiden war es bestimmt wichtig, mal wieder über den aktuellen Beziehungsstand zu sprechen – nicht weil es gewollt war, sondern weil es sich so ergab und dann ist es doch wichtig, sich einander zu versichern: ja, die Orte mögen wechseln aber sonst bleibt alles beim vertrauten Du.
Sehr schön geschrieben. Frohe Feiertage und liebe Grüße
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Vielen lieben Dank dir für dein Lesen und für deine Gedanken zum Gelesenen!
Zeiten und Orte haben wohl einen Einfluss auf die Liebe, auf das geteilte Leben; Zeiten und Orte können vielleicht ein Polster sein, auf das man sich zurückfallen lassen kann, wenn man mal wankt (obwohl es vielleicht nicht immer ausreicht)…
Vielen Dank nochmals! Frohe Ostern und liebe Grüsse zurück!
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Orte können Erfüllungsorte sein oder welche des Verzichtes, der in jeder Erinnerung das Unwiederbrinhliche aufleuchten lässt wie den Glühfaden in einer Birne. Orte können Wirkstätten und können alles sein – wenn vereinte Geister sie durchfließen und gemeinsam an ihnen fühlen und träumen. Dann werden sie zu Erfüllungsgehilfen von etwas Ewigem und darum ist es so schmerzhaft, sie für immer zu verabschieden. Doch man lässt nicht die Liebe los, sondern nur einen ihrer Orte, der ihr als Nährboden diente. Du bringst mich immer ganz schön auf verrückte und auch weite Gedankengänge. Es ist etwas ganz Feines, wenn Kunst das mit mir macht. Ich hab zu danken. Ist eine klare Winwinsituation. Smileylächelnde Grüße🧚♀️✨
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Es ist ganz wunderbar zu lesen, was sich in deinen Kommentaren jeweils entfaltet, wie die Gedanken wilde Haken schlagen und Neuland entdecken… Vielen lieben Dank dafür! Und herzliche Grüsse zurück…
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Es war schön zu lesen.
Jetzt am Ende macht sich aber doch etwas Enttäuschung in mir breit. Ich hätte gern mehr gewusst, wie es weiter geht, an der Weggabelung. Aber so sind deine Geschichten ja oft, mit offenen Ende. (Und ich war, wie immer, zu sehr drin in der Geschichte).
LG, Nati
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Es liegt nun mal im Wesen dieser Geschichte, dass sie nach sieben Tagen endet (und in den Köpfen weitergehen darf, natürlich)… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken. Und liebe Grüsse zurück…
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Dankeschön.
Ich wünsche dir schöne Feiertage.
LG, Nati
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Vielen Dank, das wünsch ich dir auch!
Herzliche Grüsse
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☺
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