(Ein E-Mail-Dialog zwischen Hanna und Simo. Der E-Mail-Dialog findet statt, als er und sie eine Zeit lang räumlich getrennt sind. Simo ist in Finnland, um sich vom Ferienhaus der Eltern zu verabschieden. Seine Freundin Hanna bleibt in der Schweiz. Er ist sieben Tage dort. In diesen sieben Tagen schreiben sie sich E-Mails.)
Simo schrieb am Sonntag, 2. Juni:
Liebste Hanna
Ich bin angekommen in unserem Mökki, in unserem Ferienhaus. Ich muss es betonen, dieses unserem, denn noch gehört es ja uns, gehört meiner Familie. Der Gedanke, dass ich zum letzten Mal hier bin, er befremdet mich noch immer.
Natürlich verstehe ich meine Eltern, dass sie es verkaufen wollen. Ich weiß, dass ihnen die Kräfte immer mehr fehlen, um die Dinge hier im Schuss zu halten. Und ich hätte es ja selbst in der Hand gehabt, hätte Ja sagen können, als sie mich fragten, ob ich es behalten und mich darum kümmern wolle. Doch ich habe Nein gesagt. Habe es mir nicht zugetraut, mich darum kümmern zu können. Ich bin kein Meister darin, mich um etwas zu kümmern. Aber wem erzähle ich das? Du weißt das nur allzu gut.
Es ist seltsam, hier zu sein. Zwar liegen noch sieben Tage vor mir, doch alles ist bereits von Abschied durchweht. Der Gedanke des Abschieds hängt über dem See, er hängt in der kleinen Hütte, er hängt im Wald. Sogar das kleine Eichhörnchen, das vorhin vorbeischaute, erzählte vom Abschied. Ich weiß nicht, ob es das gleiche Eichhörnchen ist wie jenes, das wir jeweils sahen, als du mit mir hier warst. Ich würde es mir wünschen, doch ich befürchte, es ist ein anderes Eichhörnchen. Es ist auch eine andere Zeit.
Während ich dir schreibe, brennt ein Feuer im Saunaofen. Ich freue mich auf die Sauna. Ich werde jeden Tag in die Sauna gehen. Doch auch da wird der Abschied allgegenwärtig sein. Jedes Zischen beim Aufguss ist ein Zischen weniger, das noch bleibt.
Ich hoffe, dir geht‘s gut. Schlaf dann gut, meine Liebe.
Hanna schrieb am Sonntag, 2. Juni:
Liebster Simo
Aus deinen Worten klingt Wehmut. Ich verstehe das, und ich weiß, dass du damit gerechnet hast. Trotzdem tut es mir leid, dass du offenbar bereits mit einer unüberwindbaren Schwere konfrontiert bist. Ich hätte dir mehr Leichtigkeit gewünscht, einige Tage des Seins. Ich hätte dir gewünscht, dass du einige Momente in dich hättest aufsaugen können.
Ich wäre gerne bei dir, möchte dich in den Arm nehmen. Andererseits ist es wohl gut, dass du alleine dort bist. Wahrscheinlich wäre ich eine Ablenkung, würde eine unpassende Zerstreuung deiner Gedanken auslösen, und das will ich nicht. Diese sieben Tage in Finnland, in Toikkala, das sollten deine sieben Tage sein, nicht unsere. Es ist deine Zeit. Und vielleicht tut es auch uns gut, dass nicht jede Zeit unbedingt auch unsere Zeit ist.
Viel Spaß in der Sauna. Und gute Nacht.
(Der gesamte Dialog wurde im Rahmen der Finissage der Ausstellung Nordsicht #2 im Kunstraum Nextex in St.Gallen als Textinszenierung aufgeführt.)
Veröffentlichst du die verbleibenden 6 Tage auch?
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Ja, die folgen in den kommenden Tagen…
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Das ist schön, da bin ich gespannt.
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag.
LG, Nati
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Danke schön… Dir noch einen schönen Sonntagabend…
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Vielen Dank.
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