Er hat einen ziemlich ungewohnten Nachnamen, doch sie bemüht sich gar nicht erst, sich die komplizierte Schreibweise einzuprägen. In absehbarer Zeit wird er nicht mehr dort liegen, wo er jetzt liegt, neben ihr im Bett. Sie wundert sich, dass sie manchmal neben ihm – oder neben anderen – einschläft, ganz nahe am anderen Körper, vielleicht sogar innig, doch am nächsten Morgen stets sehr weit weg von ihm erwacht. Wüsste sie es nicht besser, würde sie glauben, dass des Nachts jemand ins Schlafzimmer schleichen und die beiden Körper auseinanderschieben würde.
Auch jetzt liegt er in weiter Ferne. Sie hört sein schweres Atmen, darin ein leichtes Keuchen, wie bei einem alten Hund. Sie steht auf und geht von ihm weg, mit jedem Schritt entfernt sie sich um ein Mehrfaches der zurückgelegten Distanz.
In der Küche hängt blaugraues Licht, das der Dreiviertelmond und die beiden Straßenlaternen vor dem Fenster erzeugen. Sie setzt sich an den Tisch und stützt den Kopf auf die Hände. Sie denkt daran, wie häufig sie in den Nächten in die Küche flüchtet. Zwar ändert sich nichts, aber zumindest fühlt sie sich hier, allein am Küchentisch, näher bei sich selbst als dort im Bett neben einem anderen Körper. Doch hier und dort ist ihr die lähmende Trägheit zuwider. Wäre sie ein Schiff, wäre sie auf Grund gelaufen.
Er hat einen ziemlich ungewohnten Nachnamen, doch sie bemüht sich gar nicht erst. Sie will sich keine Namen einprägen, wehrt sich dagegen, beinahe so, als wäre da eine Verbindlichkeit, die ihre Freiheit bedrohen würde. Er, dort im Bett, ist eigentlich kein schlechter Mensch. Er ist liebevoll und witzig, sie mag ihn, mag ihn mehr als die meisten anderen. Trotzdem macht sie jedes Mal, wenn sie sich längere Zeit ansehen, unweigerlich einen Schritt zurück.
Sie hebt den Kopf von ihren Händen und blickt sich in der Küche um. An der Wand hängt ein kleines Bild. Sie kann nichts erkennen, das Licht ist zu schwach, aber sie weiß, was darauf abgebildet ist, und eigentlich genügt das, findet sie.
Sie geht zum Kühlschrank, und als sie ihn öffnet, hört sie ein Knarren. Das Geräusch ist laut und erschütternd, es klingt nicht wie eine schlecht geölte Kühlschranktür, sondern eher wie ein Schiff, das auf Grund läuft. Sie starrt in den Kühlschrank hinein, ohne etwas zu sehen oder zu suchen. Nach einer ewigen Minute schließt sie die Kühlschranktür und setzt sich wieder an den Tisch. Während der Tag sich regt und das Licht allmählich heller wird, füllt sich ihr Kopf mit einem leisen Rauschen. Jedes Mal, wenn die Wellen an den Schiffsrumpf prallen, hört sie das Knarren. Aber sie gewöhnt sich daran, irgendwann, vielleicht.

Was mag sie erlebt haben, warum sie nun keine körperliche Nähe erträgt.
Ihre Gedanken leben in einer anderen Nähe, die sie nicht mehr finden kann …
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Wer weiss, was ihr die Nähe verunmöglicht hat… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse…
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Das ist eine Deiner Warumbloß-Geschichten…die ganze Zeit wackelt mein Kopf ein Warumbloß? Will da zu ihr hingehen und sagen: das, was Du selbst Dir nicht geben kannst, wirst Du bei keinem IHM finden. Er kann Dich nicht ergänzen. Sex wird generell überbewertet wenn es um Liebe geht. Wie alt bist Du? Will ich sie fragen, diese Frau. Ein Mädchen, oder? Der da drüben schläft weil er müde ist und nicht weil er dich allein lassen will. Wer Dich liebt, erkennt Dich im Schlaf. Unzweifelhaft toll geschrieben.
Lose Gedanken und Roheindrücke. Liebe Grüße
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Vielen lieben Dank dir! Warumbloss-Geschichten, ja, die schreib ich und wohl auch das Leben ziemlich häufig. Menschen sind manchmal so und manchmal anders und mehr als nur manchmal kann man sich selbst nicht ganz erklären, warum es so ist, warum man so ist…
Nochmals herzlichen Dank für deine roheindrucksvollen Gedanken. Liebe Grüsse zurück…
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„Wäre sie ein Schiff, wäre sie auf Grund gelaufen.“ – Wunderbar!
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Vielen lieben Dank dir!
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wow, toll geschrieben
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Vielen lieben Dank!
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