Sie steht lange vor der Sonne auf, der frühe Vogel, weiß man ja, kennt man ja, doch meistens ist es noch viel zu dunkel, um etwas zu erkennen; sie sieht nichts, findet keine Würmer, höchstens Zweige, die so aussehen wie Würmer. Irgendwann kommen dann die anderen Vögel hervor, krächzen und kreischen und schlagen mit ihren Flügeln, und sie mag das nicht, fühlt sich überfordert, also zieht sie sich zurück, geht in ihre Küche und streicht sich ein Butterbrot, natürlich mit Halbfettbutter, der Gesundheit wegen, sagt sie sich, außerdem ist sie zu dick, findet sie, obwohl alle, die sie kennen, ihr diesbezüglich widersprechen. Sie verlässt das Haus, bevor es sie verlässt, geht zu ihrem kleinen Nissan und steigt ein. Sie muss irgendwo hin, man muss ja immer irgendwo hin, sonst kommt man nicht weiter. Sie gibt Irgendwo in ihr Navigationsgerät ein und lässt sich leiten, lässt sich führen. Die Stimme, die ihr sagt, wann sie links abbiegen oder sich rechts halten muss, sie klingt wie jene von George Clooney. Sie mag George Clooney, nicht nur, weil er aussieht, wie er eben aussieht, sondern auch seines Charakters wegen, und natürlich ist ihr bewusst, dass sie den Mann nicht kennt und dass George Clooney nur eine Projektionsfläche sein kann, eine Fantasie, aber es ist ihr egal; es ist manchmal ganz schön kalt in der Realität, und sie friert nicht gerne. Sie dreht die Heizung auf und hört zu, wie George Clooney zu ihr spricht. Auf halber Strecke jedoch führt er sie in die Irre, weil eine Straße wegen einer Baustelle gesperrt ist, und freilich kann George Clooney das nicht wissen, es nicht seine Schuld, dass hier gebaut wird. Dennoch nimmt sie es ihm übel. Sie wählt in ihrem Navigationsgerät eine andere Stimme, eine Frauenstimme. Sie ist angenehm, diese Stimme, vielleicht ein wenig besserwisserisch, aber freundlich und warm. Sie stellt sich vor, diese Frauenstimme würde einer guten Freundin gehören, womöglich sogar der besten Freundin. Ihr kann sie vertrauen, ihr kann sie glauben. Und wenn die Straße geradeaus führt und die Stimme schweigt, erzählt sie ihrer besten Freundin alles, was sie bedrückt und erfreut, vor allem das Bedrückende, da gibt es mehr zu erzählen, findet sie. Als sie ihr Ziel erreicht hat, ist sie traurig und hat das Gefühl, ihre beste Freundin verloren zu haben. Sie betritt ein Haus und geht ins Untergeschoss, klopft an eine Tür und wird eingelassen. Einige Minuten später ist sie wieder draußen, trägt eine Tüte in der Hand, und in dieser Tüte befindet sich ein Nachtsichtgerät, ein altes russisches Modell. Sie weiß nicht, woher der Mann, der es ihr verkauft hat, das Nachtsichtgerät hatte, aber sie ist froh, dass nun ihr gehört. Damit findet sie garantiert einen Wurm, ganz sicher, vielleicht sogar zwei oder sieben. Für die Heimfahrt kann sie sich nicht zwischen George Clooney und ihrer besten Freundin entscheiden. Am Ende verlässt sie sich auf ihre eigene Stimme und auf ihr Gedächtnis. Nach Hause findet man leichter, denkt sie. Dann fährt sie los.

Ich mag sehr, wie sich die Geschichte entwickelt in meinem Kopf, wie sie schaukelt, und ich mag das Ende. Vielen Dank!
LikeGefällt 1 Person
Wie schön! Das freut mich sehr! Lieben Dank fürs Lesen und Mitschaukeln und für deine Worte!
LikeGefällt 1 Person