Eigentlich heißt er ja Josef, doch weil er Paella und das spanische Temperament mag und schwarze Haare hat, nennt er sich José, und als er erkennt, dass José ein allzu häufiger spanischer Männername ist, bittet er jeden, ihn mit Pepe anzusprechen. Pepe passt zu ihm, Pepe klingt freundlich und nahbar, zumindest findet das Pepe. Wer Pepe begegnet, mag ihn in der Regel auf Anhieb, Pepe ist lustig, aber nicht zotig oder dümmlich, er hat einen angenehmen Humor und das, was man gemeinhin als gewinnendes Wesen bezeichnet, seine Freundlichkeit ist einnehmend. Manchmal macht Pepe Scherze, Schabernack, wie er sie nennt, er mag das Wort Schabernack, es passt zu seinen Scherzen, findet Pepe. Einmal versteckt er sich in einer großen Mülltonne, und jedes Mal, wenn jemand vorübergeht, stößt er den Deckel hoch und sagt Buh! Bisweilen kauft er Blumen und schenkt sie fremden Menschen, nur weil sie unglücklich aussehen. Dann wieder stellt er einen Klapptisch und einen Klappstuhl in die Fußgängerzone und beginnt, Mandalas zu malen. Sogar Menschen, die solchen Schabernack eigentlich nicht sonderlich schätzen, finden ihn amüsant, wenn Pepe diesen Schabernack macht, denn eben, Pepe ist einnehmend, Pepe ist lustig, Pepe ist einfach so. Pepe muss man einfach mögen.
Wer genug lang mit ihm redet, lernt einen anderen Mann kennen, denn Pepe, also Josef, hatte eine ziemlich unglückliche Kindheit, mit einem Alkoholiker als Vater und einer depressiven Mutter, doch er ließ sich nicht unterkriegen, er kämpfte um sein Recht, glücklich zu sein, und er ist stolz darauf, dass er diesen Kampf immer wieder mal gewinnt, dass sein Lachen echt ist und dass er die Menschen mag, dass er sich selbst mag. Und wenn man ihn sieht, ihn sogar kennt, dann mag man ihn auch, man kann gar nicht anders. Man schließt ihn ins Herz, denn da gehört er hin.
Fast jeder, der von ihm erzählt, berichtet davon, von Pepe zum Lachen gebracht worden zu sein, und nicht selten leuchten die Augen der Erzählenden, denn solche Menschen wie Pepe sind selten, sie sind wertvoll, sie machen das Leben reich und bunt; Menschen wie Pepe sind wunderbar. Doch dann erzählt eine junge Frau plötzlich eine andere Geschichte, sie sagt, dass sie von Pepe vergewaltigt worden sei. Er streitet es vehement ab, und man glaubt ihm, denn Pepe würde nie so etwas tun, nicht unser Pepe, der Pepe ist doch harmlos, er ist einer der Guten, doch dann tauchen Beweise auf, DNA-Tests, weitere Vorwürfe, und allmählich wird klar, dass Pepe zweifelsfrei schuldig ist. Unser Pepe, also dieser Pepe, er hat eine Frau vergewaltigt, und dann steht man da und fragt sich, was man da macht. Was macht man mit der Sympathie? Was macht man mit dem Scheitern der eigenen Menschenkenntnis? Was macht man mit der Welt, die plötzlich in Schräglage geraten ist? Was macht man mit den eigenen Gedanken, was macht man mit dem Wort Schabernack? Was macht man mit der Liebe, was macht man mit der Wut? Was macht man da?

Schmerzhafte Fragen. Wichtige Fragen.
Eine Antwort habe ich auch nicht. Ich kann nur hoffen, dass ich keinen Pepe kenne. Dass keiner von denen, die ich kenne und mag, so etwas verbirgt.
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Oh ja, das hoffe ich auch. Und ich hoffe, dass es vielleicht doch nicht so viele von ihnen gibt, wie es manchmal scheint…
Liebe Dank fürs Lesen und für deine Worte!
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Auch in einem vordergründig lustigen, schabernacktreibenden Menschen kann eine grausame Seite stecken, denn NUR lustig und fidel ist keiner
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Die ausschliesslich Lustigen und Fidelen sind mir auch suspekt, ja. Aber ich hoffe, dass nicht jede Kehrseite unbedingt grad abgründig böse ist… Vielen herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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Sehr treffende Geschichte. Gibt es nur Schwarz oder Weiß? Wie mit Leuten umgehen, die nebeneinander/versteckt/übertüncht/verschränkt beides sind? Ich kannte tatsächlich mal jemanden wie Pepe, einen freundlichen Clown, kinderlieb, immer Komplimente auf den Lippen, lustige Gedichte schreibend und Bilder malend, Schwarm aller Frauen. Frauen, die er betrog, hinterging, belog, finanziell ausnahm wie Weihnachtsgänse, aufs Äußerste manipulierte, emotional von sich abhängig machte und dann brach und erniedrigte. Es war anfangs kaum möglich wahr haben zu wollen, dass zwei so unterschiedliche Seiten in einem Menschen stecken können… 🙁 Schön aufgeschrieben mal wieder, Deine Story! LG!
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Jekyll und Hyde sind offenbar doch weiter verbreitet, als man denkt… Vielleicht verfügen gewisse Menschen über das zweifelhafte Talent, unschöne Facetten ihrer Persönlichkeit erfolgreich mit Zuckerguss zu übertünchen… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte! Herzliche Grüsse…
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Ja, was macht man da? Vor allem, was macht man, wenn der Vergewaltiger der Bruder, der Sohn oder der Mann ist?
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Ich weiss es nicht. (Und will es eigentlich nicht wissen müssen.) Ohnmacht… Herzlichen Dank dir fürs Lesen!
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