Für eine gemeinsame Lesung mit Sandkastenfreund Patrik Kobler in der alten Heimat entstanden fünf kurze Postkartentexte, die in einer Art Dialog mit Patriks fünf Postkarten ihren Weg auf die Bühne fanden.
Postkarte 3: Ernsthaftigkeit
Lieber Patrik
Ich vergesse bisweilen den Namen meiner ersten Freundin. Also meiner ersten festen Freundin, wie man das damals nannte. Der Nachname entfällt mir ziemlich oft, manchmal auch der Vorname. Dann ist diese Freundin einfach verschwunden, ist ausgelöscht, gerade so, als hätte es sie gar nie gegeben. Wenn ich mich dann erinnere, freue ich mich darüber, als ob ich etwas gefunden oder entdeckt hätte. Dabei ist es nur die Erinnerung an etwas, das verloren ging.
Wie gingen wir damals mit der Liebe um? Was machte sie mit uns, was löste sie in uns aus? Manchmal wundere ich mich, ob uns die Unbeholfenheit bewusst war, mit der wir liebten. Wahrscheinlich nicht. Auch frage ich mich, wie sich die Tatsache, dass uns diese Unbeholfenheit allmählich abhanden gekommen ist, auf die Liebe ausgewirkt hat. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass uns nicht nur die Unbeholfenheit entglitten ist. Die Liebe, sie wurde… Ich weiß nicht… Sie wurde ernsthaft.
Einmal hatte ich mich mit meiner ersten festen Freundin beim Sportzentrum in Herisau verabredet. Ich glaube, es war Herbstmarkt im Dorf, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls erinnere ich mich, wie ich beim Sportzentrum auf sie wartete. Irgendwann kam sie auch, doch sie tat es nicht in der üblichen Fortbewegungsgeschwindigkeit, nein; sie rannte. Ich will sie nicht schlecht machen oder verunglimpfen, doch als sie damals auf mich zurannte, sah sie sehr seltsam aus. Irgendwie plump und zugleich überfordernd. Ich würde gerne schreiben, dass mich dieser Anblick befremdete, doch es war kein Befremden, das ich empfand. Es war Angst. Einfach Angst. Zwar wusste ich nicht genau, wovor ich Angst hatte, aber ich kannte das Gefühl genau. Einige Tage später trennte ich mich von meiner ersten festen Freundin. Vielleicht war es die erste Entscheidung, die der Ernsthaftigkeit der Liebe geschuldet war.
Übrigens weiß ich im Moment, wie sie hieß, meine erste feste Freundin. Doch der Name, er tut eigentlich nichts zur Sache.
Herzliche Grüße
Postkarte 1 gibt’s hier.
Postkarte 2 gibt’s hier.
Postkarte 4 gibt’s hier.
Postkarte 5 gibt’s hier.
Eine Zusammenfassung aller zehn Postkarten gibt’s hier.
Einen Rückblick auf die Lesung gibt’s hier auf Patriks Blog.
Die erste Freundin, der erste Freund *lächel*
Lieber Disputnik, auch SIE war von dem, was Ihr Liebe nanntet, überfordert, sonst hätte sie sich anders bewegt.
Wie verschieden diese Ersten doch waren. Sich an den Namen zu erinnern, ist das einfachste von allem, die Freude anfangs, das Neue, das in unser Leben kam und wie schwierig, sich an das Leid zu erinnern, das dann kam…, bei meiner ersten Liebe, von der ich heute behaupte, es war wohl keine. Er hieß Rainer 🙂 , auch wenn der Name nichts zur Sache tut.
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Ich weiss nicht, ob sie überfordert war, ich habe sie nie gefragt… Rainer… Tut mir leid, dass es wohl keine Liebe war… Im Nachhinein betrachtet man wohl manches mit anderen Augen. Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni!
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Von meiner Seite war es wohl keine, lieber Disputnik…
Er starb sehr überraschend mit gerade mal 21 Jahren. Er mochte das Leben nicht mehr.
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Das tut mir leid, sehr. Auch wenn es keine Liebe war. Das Leben nicht mögen; ist ein heimtückischer Zustand…
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Die Dinge des Lebens sind so, lieber Disputnik…
Rührend geschrieben…
Meine erste feste Freundin hiess Rita und ich kann und will sie nicht vergessen:
https://finbarsgift.wordpress.com/2013/02/24/erste-kusse/
Liebe Wintergrüße vom Finbar
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Ach ja, deine Rita, ich mag den Text noch immer, ganz wunderbar und berührend eingefangen.
Vielen Dank dir, lieber Finbar, und herzliche Grüsse zurück…
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*lächel* ja, meine Rita…
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Wunderbare Texte – schade, dass es nur fünf sind. 🙂
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Vielen lieben Dank dir, das freut mich sehr!
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UPS…zu früh losgeschickt…mich noch nicht bedankt, denn Dein tiefsinniger Text zeigt mir: es ist ja doch noch da, es ist noch etwas Lebendiges.
Liebe Grüße von der Fee
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Schön, sehr schön, das Lebendige…
Herzliche Grüsse zurück!
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Ja, das ist wieder interessant, denn ich erinnere mich an den Vor-, an den Nachnamen meiner ersten Liebe, an seinen Geburtstag. Ich kenne nicht seinen jetzigen Wohnort, seine Lebensumstände, doch schreibe der Ernsthaftigkeit, der Unbedarftheit und Größe dieser ersten Liebe heute noch Gedichte, die nach Jungsein riechen, nach etwas Leichtem, das Zukunft im Munde führt noch ohne das Bewusstsein für den großen Begriff, der sogar Distanzen in auseinanderdriftenden Leben noch nach so vielen Jahren zu überwinden in der Lage ist.
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Womöglich hängt der Bezug zum Früheren auch davon ab, wie die jeweiligen Umstände damals waren. Und wie weit man sich selbst von seinem damaligen Ich entfernt hat. In jedem Fall ist’s wunderbar, dass derartige Dinge bei jeder und jedem wieder anders sind. Herzlichen Dank dir fürs Mit-Teilen, fürs Lesen und für deine Worte!
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