Von all den Dingen, die Felix nur tut, wenn er alleine ist oder sich unbeobachtet wähnt, sind wenig so merkwürdig wie das plötzliche Verkrampfen seines Körpers. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, spannt er die Muskeln in seinen Gliedern an, krümmt sich leicht, sinkt in die Hocke und verharrt einige Sekunden lang in dieser Position. Dann richtet er sich auf, schüttelt sich kurz und lebt dort weiter, wo es Momente zuvor zu diesem seltsamen Unterbruch gekommen war. Wenn jemand dieses Ereignis mitverfolgen und ihn danach fragen würde, was es zu bedeuten hatte, wüsste Felix keine Antwort und würde lediglich stumm an seinem kleinen Schamgefühl leiden.
Da sind andere Dinge, die er nur tut, wenn er alleine ist oder sich unbeobachtet wähnt. Bisweilen schiebt Felix einen Finger in die Nasenhöhle, befreit einen Popel, rollt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger zu einer kleinen Kugel und schnippt diese Kugel im geeigneten Moment fort. Dann wieder stellt er sich vor den Spiegel in öffentlichen oder privaten Toiletten, reißt seinen Mund auf und streckt dem Mann im Spiegel seine Zunge entgegen. Oder er kratzt sich an neuralgischen Stellen zwischen seinen Beinen oder unter den Armen. Manchmal streckt er sich auch einfach, macht sich lang und breit.
Wenn er sie tut, die Dinge, die er nur tut, wenn er alleine ist oder sich unbeobachtet wähnt, fragt sich Felix bisweilen, warum er sie nur tut, wenn er alleine ist oder sich unbeobachtet wähnt. Was ihn veranlasst, ein Geheimnis aus diesen Dingen zu machen. Und er wundert sich, was geschehen würde, wenn er sie in Momenten tun würde, in denen er nicht alleine wäre und unter Beobachtung stünde. Würde er an Wert einbüßen, an Selbstwert, an Fremdwert? Würde er an Achtung verlieren, an Selbstachtung, an Fremdachtung? Es würde zweifellos zu Veränderungen kommen, Felix würde ein anderes Bild abgeben, eine andere Rolle spielen, zumindest vorübergehend. Doch weshalb würde dies geschehen? Er selbst hätte sich schließlich nicht verändert, wäre immer noch der gleiche Mensch, hätte nichts anderes getan als üblich. Alles wäre so wie immer, die einzige Veränderung würde im Kopf des Betrachters ihren Anfang nehmen und zu ungewissen Folgen führen.
Felix fährt mit einem Aufzug, und während er alleine auf diesen drei Quadratmetern steht, macht sein Körper wieder jene seltsamen Verrenkungen. Nach wenigen Sekunden stellt er sich wieder gerade hin, räuspert sich leise, zieht seine Kleidung zurecht und wartet, bis der Aufzug hält. Als die Türe sich öffnet, steht Herr Elmer vor ihm, ein älterer Mann aus der Nachbarschaft. Herr Elmer ist ein ausnehmend freundlicher und stets akkurat gekleideter Zeitgenosse, der sichtlich großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt, doch nun, vor der Aufzugstür, ist es nicht sein gepflegtes Äußeres, das auffällt, sondern die Emsigkeit, mit welcher er damit beschäftigt ist, zwischen seinen Beinen für Ordnung zu sorgen. Er nestelt an seiner Hose, schiebt zurecht, was offenbar nicht passt. Als Herr Elmer bemerkt, dass er beobachtet wird, zuckt er so heftig zusammen, dass auch Felix erschrickt. Man nickt sich zu, dann geht er an Herrn Elmer vorbei und versucht, seine Gesichtszüge ausreichend lange vor dem Entgleisen zu bewahren. Nach einigen Sekunden dreht er sich zu Herr Elmer um, der im Aufzug steht und darauf wartet, dass sich die Schiebetüre schließt. Er sieht ganz anders aus, der Herr Elmer, wie er beinahe verkrampft auf den Boden starrt, zumindest wirkt es so. Als die Aufzugstüre sich geschlossen hat, hört man einen dumpfes Geräusch.
Herr Elmer hat sich verändert, denkt Felix und geht weiter. Zu Hause in seiner Wohnung schließt er die Tür hinter sich und krümmt sich leicht, sinkt in die Hocke und verharrt einige Sekunden lang in dieser Position. Dann richtet er sich auf, schüttelt sich kurz und sieht sich vorsichtig um, ob ihn vielleicht nicht doch jemand beobachtet hat. Einen Moment lang hält er noch inne, dann lebt er dort weiter, wo es Momente zuvor zu diesem seltsamen Unterbruch gekommen war. Anders geht es ja doch nicht.

Den wünsche ich ich Dir und Deiner Family auch
Herzliche Grüße von mir
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*lach* und sehr amüsierte Grü0e von Bruni an Dich, lieber Ralf 🙂
Tja, warum, und schon wieder muß ich lachen
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Es freut mich sehr, dein Lachen! Herzlichen Dank dir und einen guten Start ins neue Jahr!
Liebe Grüsse…
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