Es gibt kurze Videofilme von Katzen, hinter deren Rücken man eine herkömmliche Gurke platziert, und sobald eine Katze die Gurke erblickt, fährt sie zusammen, springt hoch, heftig erschrocken, nein, zutiefst schockiert, als wäre die Begegnung mit dem besagten Gemüse das fürchterlichste Ereignis ihres Katzenlebens, und irgendwie ist auch Herr Himmelberger den Katzen in diesen Videofilmen nicht unähnlich, nur dass er sich nicht in Anbetracht von herkömmlichen Gurken erschrickt, sondern bei Begegnungen mit herkömmlichen Menschen, wobei seine Reaktion natürlich besonders heftig ausfällt, wenn er nicht mit einer solchen Begegnung rechnet; wenn er weiß, was ihm bevorsteht, kann er sich entsprechend vorbereiten, kann dem Aufeinandertreffen das Element der Unvorhersehbarkeit nehmen und womöglich auch die psychologischen und physiologischen Prozesse in seinem Körper besser unter Kontrolle halten, und jene Kontrolle, sie scheint ihm wichtig zu sein, Herr Himmelberger will bei jedem Schritt wissen, was ihn erwartet, und wenn dann das Unerwartete eintrifft, lässt ihn der Verlust der Kontrolle heftig zusammenzucken und leicht hüpfen, wie jene Katzen, die sich mit einer Gurke konfrontiert sehen, und eigentlich müsste Herr Himmelberger jene Orte meiden, die eine hohe Wahrscheinlichkeit von Begegnungen mit anderen Menschen aufweisen, doch ausgerechnet er arbeitet in einem riesigen Bürogebäude, mit tausend Ecken, hinter welchen ihm Menschen begegnen könnten, mit langen Gängen mit unzähligen Türen, die sich ohne Vorwarnung öffnen und für überraschende Konfrontationen sorgen könnten, und manchmal sieht man ihn, wie er wachsam durch die Gänge schleicht, darauf bedacht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen und zugleich stets mit dem Schlimmsten zu rechnen, nämlich mit ungeplanten Begegnungen mit Menschen oder Gurken, doch diese Wachsamkeit, sie wohnt ihm nicht immer inne, denn allzu häufig ist Herr Himmelberger in seiner Gedankenwelt verloren, er sinniert über die Dinge des Lebens oder denkt über eine Aufgabe nach, die seine Arbeitsstelle mit sich bringt, und was auch immer ihn in solchen Momenten umtreibt, es macht ihn verletzlich, noch verletzlicher als sonst, es macht ihn angreifbar, denn die Mitarbeitenden in jenem großen Bürogebäude, sie machen sich einen Spaß daraus, eine Begegnung mit Herrn Himmelberger zu forcieren, sie legen es geradezu darauf an, ihn mit voller Wucht aus seinen Gedanken zu reißen; sie entdecken ihn in einiger Entfernung und drücken sich in eine Ecke, um im richtigen Moment pfeilschnell hinter dieser Ecke hervorzuschießen, oder sie lassen in unmittelbarer Nähe von Herrn Himmelberger einen Aktenordner zu Boden fallen, oder sie schleichen sich von hinten an Herrn Himmelberger heran, um ihm ohne Vorwarnung etwas ins Ohr zu raunen, und jedes Mal haben sie eine diebische Freude daran, wenn Herr Himmelberger dann heftig zusammenzuckt und leicht hüpft; immer wieder führen sie eine Begegnung mit ihm herbei, lachen hinter seinem Rücken oder ihm durchaus auch direkt ins Gesicht; das Erschrecken von Herrn Himmelberger, es wird zum veritablen Sport, man misst sich, man übertrifft sich, immer wieder überrascht und überrumpelt man Herrn Himmelberger, labt sich an seinem Zusammenzucken und Hüpfen, doch eines Tages hört das Zusammenzucken und Hüpfen von Herrn Himmelberger plötzlich auf, denn an jenem Tag erschrickt Herr Himmelberger zu Tode.

Das ist doch eine richtige Quälerei für solche Menschen. Mir würde es keine Freude bereiten. Ok, beim ersten Mal wäre es vielleicht lustig aber dann? Ich versetze mich oft in die Personen und überlege was sie dabei wohl empfinden würden.
Gut das es nur eine Geschichte ist.
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Sich in andere Personen zu versetzen ist wohl etwas, das offenbar nicht alle in gleichem Masse tun mögen… Herzlichen Dank dir fürs Lesen!
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Manche haben zu viel davon. Ich habe immer zu viel Empathie. Und ich habe immer direkt passende Bilder im Kopf als wäre ich direkt dabei. Kann auch nicht jeder.
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zuerst schmunzelte ich und am Ende war ich voll Mitleid mit ihm und denke, zwar menschlich zu verstehen, was die Kollegen da machten, aber manchmal ist es einfach nur gedankenlos und dumm und sollte unterlassen werden…
Ein tiefgründiger Text, lieber Disputnik, so wie wir es von Dir gewohnt sind
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Schön, dass du schmunzeln konntest und es am Ende doch nicht nur beim Schmunzeln blieb… Und ja, so manches verletzende Verhalten hat seine Wurzel in Gedankenlosigkeit…
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni; sie freuen mich sehr…
Liebe Grüsse
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